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Nicht nur ein Wolf

Astrids Perspektive

Die letzte Glocke läutete, und ich hatte kaum drei Schritte aus dem Klassenzimmer gemacht, als ich meinen Namen hörte.

„Astrid, warte!“

Ich seufzte, schon wissend, wer es war, bevor ich mich umdrehte. Jason joggte hinter mir her, entschlossen wie ein Welpe, der versucht, das Chaos zu beseitigen, das er angerichtet hatte. Schon wieder.

Er holte auf, atemlos, aber immer noch stur. „Hör zu, ich wollte mich nur nochmal entschuldigen—“

Ich rollte mit den Augen. „Jason, ich habe es schon vergessen. Mach weiter, lebe dein Leben.“

Seine Stirn runzelte sich. „Wirklich? Du bist nicht mehr sauer?“

Ich schmunzelte. „Nein.“

Er musterte mich, als würde er mir nicht glauben, aber ich war fertig damit, wütend zu sein. Zumindest für den Moment.

Dann musste er es natürlich ruinieren. „Also... was hast du mit Killian im Musikraum gemacht?“

Ich blinzelte ihn an und lachte dann kurz auf. „Dafür bist du mir hinterhergerannt?“

Jason trat von einem Fuß auf den anderen und rieb sich den Nacken. „Ich meine, ich wollte nur—“

Ich schnaubte und schüttelte den Kopf. „Wow, also dafür kannst du mir hinterherrennen, aber wo warst du, als deine Freundin mich beschimpft hat?“

Das brachte ihn sofort zum Schweigen.

Sein Mund öffnete sich, als wollte er antworten, aber es kam nichts heraus. Ich lachte, schüttelte nochmal den Kopf und drehte mich auf dem Absatz um.

„Genau,“ murmelte ich und stürmte davon.

Killians Perspektive

Ich lehnte mich in meinem Stuhl zurück, die Arme verschränkt, und beobachtete die Szene, die sich vorne im Klassenzimmer abspielte. Jason war hereingestürmt wie ein verdammter Wirbelsturm und steuerte direkt auf Bianca zu, mit Mord in den Augen.

„Wenn du jemals wieder so mit Astrid redest, schwöre ich dir—“

Bianca schnaubte und warf ihr Haar zurück, als wäre sie überhaupt nicht beeindruckt. „Oh? Also entscheidest du dich für sie und gegen mich?“

Jason würdigte das nicht einmal einer Antwort. Sein Kiefer verkrampfte sich, seine Nasenflügel blähten sich, und er gab ihr einfach eine letzte Warnung. „Tu ihr nie wieder weh.“

Ich rollte mit den Augen bei beiden. Das Drama an dieser Schule war lächerlich.

Bevor Bianca noch mehr Attitüde zeigen konnte, läutete die Schulglocke und signalisierte das Ende des Tages. Endlich. Ich schnappte mir meine Sachen und machte mich auf den Weg zu meinem Fahrrad.

Und da war sie.

Miss Wütend höchstpersönlich, Astrid, die aussah, als würde sie wie gewohnt trotzig nach Hause laufen wollen.

Ich schmunzelte und stellte mich neben sie. „Brauchst du eine Mitfahrgelegenheit?“

Sie drehte sich zu mir um und runzelte schon die Stirn. „Ich kann laufen.“

Ich lachte und schüttelte den Kopf. „Natürlich kannst du das. Aber warum solltest du, wenn ich dir eine schnellere, viel coolere Option anbiete?“

Sie verschränkte die Arme und sah mein Fahrrad an, als wäre es eine Falle. „Ich vertraue dir nicht.“

Ich lachte darüber, zog einen zusätzlichen Helm heraus und setzte ihn ihr—ohne zu fragen—auf den Kopf.

„So. Jetzt hast du keine Wahl mehr.“

Sie seufzte, kämpfte aber nicht dagegen an, schwang schließlich ihr Bein über das Motorrad und setzte sich hinter mich.

Als ich den Motor startete, murmelte sie über das Dröhnen des Motors hinweg: „Also… du warst der goldene Sohn, hm?“

Ich grinste. „So kann man es sagen.“

„Was ist dann passiert?“ fragte sie, ihre Stimme voller Neugier.

Ich seufzte und mein Griff um die Lenker wurde fester. „Ich hatte keine Wahl, ich musste auf meinen Vater hören. Erstgeborenenpflichten. Alpha eines Rudels. Nächster CEO. So ist das eben.“

Sie schwieg danach, wahrscheinlich verarbeitete sie, was ich gesagt hatte.

Die Fahrt war ruhig und bald hielten wir vor ihrem Haus.

Und wie es mein Glück wollte – ihre Mutter war draußen, goss einige Pflanzen oder machte irgendetwas, was Mütter eben so tun.

Sobald sie mich sah, weiteten sich ihre Augen auf die Weise, wie Mütter es tun, wenn sie jemanden Großen und offensichtlich gut aussehenden sehen.

„Oh mein Gott“, sagte sie und senkte die Gießkanne. „Und wer ist dieser gutaussehende junge Mann?“

Astrid brach in Lachen aus und schüttelte den Kopf. „Mama, das ist Killian.“

Ich zeigte mein charmantestes Lächeln. „Freut mich, Sie kennenzulernen, Ma’am.“

Ihre Mutter nickte mir anerkennend zu, bevor sie sich an Astrid wandte. „Dieser hier hat Manieren. Nicht wie dieser andere—“

„Mama!“ stöhnte Astrid und schob mich in Richtung meines Motorrads, bevor es ihr noch peinlicher wurde.

Ich lachte, setzte meinen Helm wieder auf. „Bis später, Miss Wütend.“

Und damit ließ ich den Motor aufheulen und fuhr davon, freute mich schon auf das nächste Mal, wenn ich sie wieder ärgern konnte.

Ein paar Minuten später

Ich war gerade nach Hause gekommen und hatte mich auf die Couch geworfen, als die Haustür laut zuschlug.

Jason.

Ich musste nicht einmal aufblicken, um zu wissen, dass er mich anstarrte. Seine Schritte waren schwer, seine Energie schrie vor Ärger, als er ins Wohnzimmer stapfte.

„Was willst du von Astrid?“ verlangte er zu wissen.

Ich grinste, machte mir aber nicht die Mühe zu antworten. Wenn er eine Erklärung erwartete, verschwendete er seine Zeit.

„Ist sie deine Freundin?“ fragte ich ihn.

Jason stieß einen frustrierten Atemzug aus. „Sie ist meine beste Freundin, nicht meine Freundin.“

„Und wenn du wirklich etwas Nützliches tun willst, bring deiner Freundin lieber bei, wie man sich benimmt, anstatt sie zu bedrohen.“ antwortete ich ihm.

„Ich habe Bianca nicht bedroht.“

Ich hob eine Augenbraue, amüsiert. „Hmm, deine beste Freundin? Vielleicht hast du Bianca nicht bedroht.“

Er rollte mit den Augen, offensichtlich nicht in der Stimmung für meine Spielchen. „Egal. Das ist nicht der Punkt.“ Er verschränkte die Arme. „Glaubst du wirklich, dass Astrid eine von uns ist?“

Ich setzte mich schließlich auf, stützte meine Ellbogen auf meine Knie. „Warten wir auf heute Nacht.“

Jason runzelte die Stirn. „Was passiert heute Nacht?“

Ich gab ihm einen wissenden Blick.

„Der Vollmond.“

Stunden später

ASTRIDS PERSPEKTIVE

Ich wälzte mich in meinem Bett hin und her, aber egal wie sehr ich mich bemühte, der Schlaf wollte einfach nicht kommen. Mein Körper fühlte sich – seltsam an. Zu heiß. Zu unruhig. Als ob etwas in mir darauf brannte, auszubrechen.

Ich warf die Decke von mir und setzte mich auf, presste eine Hand gegen meine Brust. Mein Herzschlag dröhnte in meinen Ohren. Meine Haut brannte, aber das Zimmer war nicht heiß.

Dann stieg draußen vor meinem Fenster der Vollmond auf.

Ein scharfer, unerträglicher Hitzeschub schoss durch meine Adern, und ich keuchte, krümmte mich zusammen.

Meine Gedanken sprangen zurück zu dem, was Killian früher gesagt hatte. Der Mond. Der Vollmond.

Mit zitternden Händen griff ich nach meinem Handy und wählte Jasons Nummer. Er nahm beim zweiten Klingeln ab.

„Jason“, hauchte ich, meine Stimme zitterte. „Mir geht es nicht gut. Irgendetwas stimmt nicht.“

„Astrid?“ Seine Stimme wurde sofort scharf. „Ich komme. Bleib, wo du bist –“

Aber ich konnte nicht. Ich konnte nicht.

Die Hitze verwandelte sich in Feuer, breitete sich durch meine Glieder aus, ließ meine Haut sich anfühlen, als würde sie schmelzen. Ein Schrei entrang sich meiner Kehle, als ich aus dem Bett stolperte, mein Blick verschwamm.

Ich hielt es nicht mehr aus.

Ohne nachzudenken, rannte ich direkt zum Fenster und sprang.

Der Wind peitschte mir ins Gesicht, als ich auf meinen Füßen landete und dann in einen Sprint in Richtung Wald überging. Meine Beine bewegten sich von allein, schneller als ich es für möglich gehalten hätte, aber es war immer noch nicht schnell genug, um dem Schmerz zu entkommen.

Schmerz.

Qualen rissen durch mich, als meine Knochen knackten und sich umformten. Meine Muskeln brannten, dehnten sich, verdrehten sich. Meine Finger krümmten sich, Nägel verlängerten sich zu Krallen. Ein Schrei entfuhr mir – nein, ein Knurren.

Was passiert mit mir?!

Ich brach auf allen vieren zusammen, keuchend, mein Blick verschwamm, schärfte sich wieder. Die Welt um mich herum fühlte sich anders an. Jeder Klang, jeder Geruch – zu scharf, zu stark.

Dann, durch den Schleier meiner Verwandlung, sah ich ihn.

Eine Gestalt stand direkt vor mir, beobachtete mich.

Vermummt. Unbeweglich.

Aber es war nicht nur seine Anwesenheit, die mir einen Schauer über den Rücken jagte.

Es waren seine Augen.

Leuchtend. Rot.

KILLIANS PERSPEKTIVE

Ich wusste es.

In dem Moment, als ich das Haus verließ, fühlte ich es in meinem Bauch – dieses Ziehen, dieser verdammte Instinkt, der mich nicht ruhig sitzen ließ. Ich sagte Jason, wir würden bis zum Vollmond warten, aber ich wusste bereits, was kommen würde. Deshalb war ich hier. Beobachtend. Wartend.

Sie würde heute Nacht nicht friedlich schlafen. Nein, Astrid war nicht für Frieden gemacht.

Die Nachtluft war dicht, der Duft von feuchter Erde und Kiefer erfüllte meine Sinne, während ich verborgen im Schatten der Bäume stand. Der Mond hatte gerade begonnen, in den Himmel zu steigen, leuchtend wie ein silbernes Signalfeuer, das uns alle rief – unsere Art.

Und dann sah ich sie.

Astrid rannte, als würde sie von einer unsichtbaren Kraft gezogen, ihr Körper bewegte sich instinktiv, ihr Atem ging keuchend. Sie stolperte, fing sich, dann rannte sie weiter, ihre Beine kaum in der Lage, mit dem Schritt zu halten, was auch immer sie vorwärts trieb.

Ich biss die Zähne zusammen.

Ich hatte schon erste Verwandlungen gesehen. Ich wusste, wie brutal sie sein konnten. Aber irgendetwas an dieser – an ihr – fühlte sich... falsch an. Oder vielleicht war es zu richtig.

Dann passierte es.

Sie schrie, ein Laut, der die Bäume erzittern ließ, roh und voller purer Qual. Ihr Körper brach auf den Waldboden zusammen, ihre Finger gruben sich in die Erde, während heftige Krämpfe ihren Körper durchschüttelten. Ich machte einen langsamen Schritt nach vorne, beobachtend. Wartend.

Und dann hörte ich es – das widerliche Knirschen von brechenden Knochen.

Ihre Arme verdrehten sich, ihr Rücken bog sich, ihr Atem wurde zu kurzen, keuchenden Stößen. Das war es. Sie verwandelte sich. Aber ich konnte es fühlen – es war nicht nur eine einfache Werwolf-Transformation.

Die Luft um sie herum pulsierte, Wellen von etwas Unnatürlichem rollten in dicken, erstickenden Wogen von ihr ab. Ihre Nägel verlängerten sich, ihre Haut glühte, als würde sie von innen heraus brennen. Ihr Körper krümmte sich, ihre Wirbelsäule knackte in eine neue Form, ihre Glieder dehnten sich, formten sich neu. Ich hatte schon Werwölfe sich verwandeln sehen, aber das hier – das war anders.

Ein schwaches Leuchten begann über ihrer Haut zu schimmern, sich in seltsame, komplizierte Muster zu graben, pulsierend wie flüssiges Gold unter ihrem Fleisch.

Was zur Hölle...?

Mein Atem stockte, als sie einen weiteren Schrei ausstieß, dieser war noch kehliger, noch primitiver. Ihre Zähne verlängerten sich, ihre Augen blitzten – ein brennendes, elektrisches Blau, das direkt durch mich hindurchzuschauen schien. Sie war größer als jeder Wolf, den ich je gesehen hatte. Nicht nur größer – stärker, ihre Gestalt hoch aufragend, geschmeidig und tödlich.

Und dann fühlte ich es.

Die Energie, die von ihr ausging, war nicht nur Werwolf. Es war überhaupt nicht nur eine Sache. Es war gemischt, geschichtet, mächtig. Uralte.

Dann hörte ich Schritte hinter mir – Jason.

Er blieb wie angewurzelt stehen, sein Atem ungleichmäßig, als er die Szene vor sich aufnahm. Ich musste ihn nicht einmal ansehen, um zu wissen, dass seine Augen vor Unglauben weit aufgerissen waren.

„Unmöglich...“ murmelte er, seine Stimme kaum mehr als ein Flüstern.

Ich atmete langsam aus, mein Griff um die kleine Schachtel in meiner Hand verstärkte sich.

Jasons Blick schnappte zu mir. „Was zur Hölle ist sie?“

Ich hielt meine Augen auf sie gerichtet, mein Verstand raste, versuchte, alles zusammenzufügen.

Ein Werwolf. Eine Hexe. Ein Vampir. Drei in einem.

Ein Tribid.

Aber nicht irgendein Tribid.

Sie war die Letzte.

Jason stieß mich an, seine Stimme scharf. „Und was ist in dieser Schachtel?“

Ich warf sie vor mir auf den Boden. „Kleidung. Für wenn sie sich zurückverwandelt.“

Jason schluckte schwer, starrte immer noch auf Astrids riesige Gestalt, das Leuchten ihrer Markierungen erhellte den dunklen Wald um sie herum wie Glut in der Nacht.

Und dann, endlich, beantwortete ich seine Frage.

„Sie ist nicht nur ein Wolf,“ murmelte ich. „Sie ist etwas anderes.“

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