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Kapitel 6

Linas Perspektive

Ich erwachte in Dunkelheit und Schmerz. Jeder Zentimeter meines Körpers pochte vor vertrauten Wunden, die noch nicht verheilt waren. Für einen Moment dachte ich, ich sei zurück in Coles Kerker im Werbärenlager – dass meine Flucht nichts als ein grausamer Traum gewesen war, den mein Geist erdacht hatte, um mich zu quälen.

Aber die Gerüche waren anders. Kein Gestank ungewaschener Körper oder der süßliche Geruch von Blut, der das Werbärengebiet durchdrang. Dieser Ort roch nach Stein und Erde und etwas Desinfizierendem. Sauber.

Ich versuchte mich zu bewegen und spürte das Einschneiden der Seile an meinen Handgelenken und Knöcheln. Die rauen Fasern gruben sich in meine Haut, aber im Vergleich zu den Ketten, die Cole benutzt hatte, fühlten sich diese fast sanft an. Mein Kopf pochte, als ich versuchte, ihn zu heben, die Nachwirkungen dessen, was auch immer sie mir injiziert hatten, flossen noch immer durch mein System.

Ich lebe, dachte ich, ein hysterisches Lachen stieg in meiner Kehle auf. Sie haben mich nicht getötet. Nur betäubt.

Die Erkenntnis hätte Erleichterung bringen sollen, aber stattdessen ergriff mich eine neue Angst. Ich konnte Snow nicht fühlen. Die tröstende Präsenz meines Wolfs – meiner einzigen Freundin, meiner Beschützerin, meiner Stärke – war nicht in meinem Geist. Die Stille, wo sie sein sollte, war ohrenbetäubend.

„Snow?“ flüsterte ich in die Leere meines Geistes. „Snow, bitte antworte mir.“

Nichts.

Panik krallte sich in meine Brust und machte das Atmen schwer. Mein Herz hämmerte gegen meine Rippen, als Tränen in meine Augen traten. Hatte das Betäubungsmittel irgendwie unsere Bindung beschädigt? Hatte sie zu viel ihrer Kraft benutzt, um mir bei der Flucht vor den Werbären zu helfen?

„Snow, bitte“, flehte ich, meine Stimme brach wie dünnes Eis unter zu viel Gewicht. „Verlass mich nicht. Nicht auch du.“ Meine Brust zog sich so fest zusammen, dass ich kaum noch Luft bekam, der vertraute kalte Griff der Verlassenheit umklammerte mein Herz.

Die Tränen flossen jetzt schneller, heiße Spuren brannten über meine schmutzverschmierten Wangen. Snow konnte nicht fort sein. Sie war meine Stärke, mein Mut, meine einzige verbleibende Familie in dieser grausamen Welt. Die Stille in meinem Kopf war furchteinflößender als jede Folter, die die Werbären mir zugefügt hatten.

Ich versuche nur zu schlafen, Lina, grummelte Snows vertraute Stimme schließlich in meinem Kopf. Wenn du weiterhin so viel Lärm machst, könnte ich tatsächlich sterben.

Erleichterung durchströmte mich mit solcher Wucht, dass ich laut aufschluchzte, das Geräusch hallte in der kleinen Zelle wider. „Du lebst“, flüsterte ich, erstickend an meinen Tränen.

Natürlich lebe ich, antwortete sie, ihre mentale Stimme von Zuneigung durchzogen, trotz ihrer mürrischen Worte. Nur erschöpft. Dieser Lauf hat alles von mir gefordert.

Ich sackte gegen meine Fesseln, der Schrecken ließ nach. Wir lebten beide, und wir waren dem Werbärenlager entkommen. Was auch immer als Nächstes geschah, konnte unmöglich schlimmer sein als das, was wir hinter uns gelassen hatten.

Wo sind wir? fragte Snow, ihre Bewusstheit wurde langsam wacher.

„Ich weiß es nicht. Eine Art Zelle.“ Ich blickte auf die kahlen Steinwände. „Aber zumindest sind wir nicht mehr bei Cole.“

Das ist schon etwas, stimmte Snow zu. Lieber hier mit Würde sterben, als das erdulden, was er für uns geplant hatte.

Ich nickte, obwohl die Bewegung Schmerzen durch meinen Schädel schickte. Mein Leben war zu einer Reihe von Gefängnissen geworden – zuerst als Omega in meinem ehemaligen Rudel nach Grants Verrat, dann als Sklavin der Werbären und jetzt hier, wo auch immer „hier“ war. Ich konnte mich kaum noch daran erinnern, wie es sich anfühlte, die Tochter des Alphas zu sein, wie eine Prinzessin im Aurora-Rudel zu leben. Diese Erinnerungen schienen jemand anderem zu gehören – einem Mädchen, das in der Nacht starb, als ihre Eltern ermordet wurden.

Zumindest hier könnten sie uns vielleicht sauber hinrichten, dachte ich. Besser, als von Cole und seinen Männern bei Vollmond zu Tode vergewaltigt zu werden.

Das Geräusch schwerer Schritte außerhalb meiner Zelle unterbrach meine Gedanken. Die Tür schwang mit einem metallischen Kreischen auf, und ein Mann trat ein. Im schwachen Licht konnte ich seine Gestalt erkennen – groß und muskulös, mit breiten Schultern, die den Türrahmen ausfüllten. Sein Gesicht konnte ich nicht klar sehen.

„Du bist wach, Streuner“, knurrte er, seine tiefe Stimme hallte in dem kleinen Raum wider. „Warum bist du hier? Was ist dein Zweck? Du riechst nach Werbären. Bist du ein Verbrecher?“

Die Flut von Fragen überwältigte mich. Jede einzelne erforderte eine Erklärung, die Stunden dauern würde – Wahrheiten, die mich wahrscheinlich schneller töten würden. Instinktiv zog ich mich zusammen, versuchte kleiner und weniger bedrohlich zu wirken. Zeige Unterwerfung, vermeide Blickkontakt, sprich nur, wenn du direkt dazu aufgefordert wirst.

Er trat näher, und ich konnte seinen Zorn riechen. Mein Körper begann unkontrolliert zu zittern, als Erinnerungen an Schläge und Schlimmeres in meinen Geist drangen. Ich zog meine Knie so weit wie möglich an meine Brust, senkte mein Kinn und machte mich so klein wie möglich.

Bitte, betete ich stumm zur Mondgöttin, lass es schnell gehen. Lass diesen Tod wenigstens schmerzlos sein.

Der Mann hielt plötzlich inne. Seine Augen wurden leicht glasig, und ich erkannte den Ausdruck – er kommunizierte durch eine Gedankenverbindung. Nach einem Moment der Stille drehte er sich um und ging, ohne ein weiteres Wort, die Zellentür schlug hinter ihm zu.

Ich atmete zitternd aus, mein Körper zitterte immer noch wie ein Blatt im Herbstwind. Tränen bahnten sich warme Pfade über meine Wangen, das Salz brannte auf meiner rohen Haut. Ein Teil von mir wollte nur, dass sie es schnell beenden. Im Tod konnte mich wenigstens niemand mehr verletzen. Keine Schläge mehr. Keine Verletzungen mehr.

Dann traf es mich – ein Duft, so unerwartet, dass meine Lungen mitten im Atemzug stockten. Klar und scharf wie ein gefrorener See im Winter, gemischt mit frischem Kiefern und etwas so einzigartig Männlichem, dass meine Haut kribbelte. Mein Herz, das vor Momenten noch schwer vor Verzweiflung war, pochte jetzt aus einem ganz anderen Grund gegen meine Rippen.

Gefährte, heulte Snow plötzlich in meinem Geist, sprang und drehte sich vor Aufregung. GEFÄHRTE!

Die Erkenntnis traf mich wie ein physischer Schlag. Die Mondgöttin hatte mir eine zweite Chance gegeben, meinen Gefährten zu finden. Nach Grants Ablehnung und all dem, was danach gekommen war, hätte ich nie gedacht, dass ich eine weitere Gelegenheit bekommen würde.

Bevor ich diese Offenbarung verarbeiten konnte, öffnete sich die Zellentür erneut. Diesmal traten zwei Männer ein. Der erste war derselbe Wächter wie zuvor, aber meine Aufmerksamkeit richtete sich sofort auf den zweiten Mann.

Er war größer als der erste, mit breiten Schultern, die zu einer schmalen Taille hinabführten – der perfekte Alpha-Körperbau, der die bereits geräumige Zelle zu überragen schien. Als seine Augen – ein leuchtendes Grau – sich auf meine richteten, schoss Elektrizität durch meine Adern und ließ jede Nervenendigung in meinem Körper aufblitzen. Sein Kiefer war scharf und definiert, die Lippen voll, aber fest zusammengepresst.

„Das ist der Streunerwolf, Alpha“, sagte der erste Mann.

Gefährte, bestätigte Snow erneut, ihre Freude war in meinem Geist spürbar.

Meine Welt brach um mich zusammen. Nicht schon wieder. Nicht noch ein Alpha. Ich konnte nicht atmen, nicht denken.

Die Nüstern des Alphas blähten sich, als er meinen Duft aufnahm. Seine Augen weiteten sich, die Pupillen dehnten sich, bis nur noch ein dünner grauer Ring übrig blieb. Seine Brust hob sich mit einem tiefen Atemzug, und als er sprach, war seine Stimme tief und urtümlich, die Stimme seines Wolfes.

„MEIN!“

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