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Kapitel 4

Mein Leben ist trostlos.

Ich sank in den kaputten Drehstuhl, dessen fehlende Armlehne meinen Ellbogen wie ein trauriger Nachgedanke hängen ließ, und nahm einen Schluck billigen Merlot aus einem Plastikbecher. Die Nacht hatte sich über die Stadt gelegt, und die Luft auf dem Dach biss mit einer scharfen Kante auf meine Haut.

Georgia lag auf einem fleckigen Teppichrest, den wir vor einem Jahr aus dem Wartungsbüro gestohlen hatten, ihre Beine ausgestreckt, Wein schwappend in ihrer Hand. Ralph hockte auf der kaputten mittelgroßen Couch – Federn stachen durch den verblassten Bezug – ein weiteres Juwel, das wir aus dem Wartungsfriedhof befreit hatten, bevor es weggebracht wurde.

Dieses Dach war unser Platz, unser schäbiges kleines Königreich, beansprucht nachdem wir unser erstes Jahr als Vollzeit-Drohnen bei The Valmont Collection überlebt hatten. Unser Versteck, möbliert mit Büroabfällen und einer ganzen Menge Trotz.

„...Ich kann nicht glauben, dass du Xavier abserviert hast...“ sprach Ralph.

„Ja,“ sagte ich. Mein schulterlanges braunes Haar peitschte im Wind, und ich zog meinen Pullover enger.

Georgia setzte sich auf, ihre dunklen Augen verengten sich, während sie ihren Wein wie eine Detektivin schwenkte, die einen Fall zusammenstellt. „Nun, er sagt dir nicht, warum er geht, wie lange er weg ist oder was dieses ‚Rudelzeug‘ überhaupt ist. Das ist verdammt verdächtig. Das springt man nicht jemandem, den man angeblich liebt, einfach so vor die Nase – nicht ohne verdammt gute Erklärung.“

„Genau!“ Ich warf meine Hände hoch, fast verschüttete ich mein Getränk. „Ich bin kein ahnungsloser Sidekick, der nickt und wartet. Ich habe ihn nach Details gefragt – wann, wie lange, warum – und alles, was er sagte, war, dass ich ihm vertrauen soll. Scheiß drauf.“

Ralph stöhnte, ließ sich auf die Couch fallen, sein schlaksiger Körper versank in den kaputten Kissen. „Oh, komm schon, Tilly. Xavier ist ein Traumtyp. Ich würde ihm vertrauen, eine Bank zu überfallen und ihn trotzdem anfeuern. Er sagt, dass er dich liebt, wie, eine Million Mal.“

Georgia zeigte mit ihrem Becher auf mich wie mit einem Hammer. „Aber wenn er dir nicht sagen kann, warum er dich sitzen lässt, ist das eine rote Flagge so groß wie Texas. Du lässt dein Mädchen nicht hängen, es sei denn, du hast etwas zu verbergen. Ihn abzuschießen war klug.“

„Klug?“ Ralph setzte sich auf, seine Stimme erhob sich vor Empörung. „Xavier verbirgt nichts – er hat Rudelpflicht! Er macht seinen Job, und er liebt sie. Warum ist das nicht genug?“

Ich nahm einen langen Schluck Wein, der saure Geschmack brannte in meinem Hals, und starrte ihn an.

„Weil ‚vertrau mir‘ kein Plan ist, Ralph. Es ist ein Ausweichen,“ sagte ich ihm.

Georgia lehnte sich vor, jetzt ganz geschäftsmäßig, als würde sie eine Marketingkampagne planen. „Denk darüber nach. Wenn er so verliebt ist, warum hält er dich im Dunkeln? Das ist keine Liebe – das ist Kontrolle. Oder Feigheit. Du verdienst Antworten, Tilly, nicht irgendeine vage ‚Rudelzeug‘-Ausrede. Wieder, du hast das Richtige getan.“

Ich starrte in meinen Becher. Georgia verstand es, verstand mich. Ich plante mein Leben nicht um vielleicht; ich brauchte Fakten, verdammt. Schlussmachen ergab Sinn. Es war der einzige Schritt, der mich in Kontrolle hielt.

Aber Ralph war noch nicht fertig. Er lehnte sich vor, Ellbogen auf den Knien, seine Stimme weichend, als würde er Xaviers Fall für ihn plädieren. „Schau, ich verstehe es – du hasst das Unbekannte. Aber Tilly, er ist verrückt nach dir. Alles, was er jetzt verlangt, ist, dass du ihm vertraust. Warum kannst du das nicht? Was ist so schwer daran zu glauben, dass er zurückkommt?“

Ich erstarrte, der Wein halb auf dem Weg zu meinen Lippen. Seine Worte trafen wie ein Schlag, den ich nicht kommen sah, und meine Brust zog sich zusammen.

Warum konnte ich nicht? Xavier hatte mich nie belogen – nicht dass ich wüsste. Warum war ich also so schnell dabei, alles niederzubrennen?

Georgia schnaufte. „Er bekommt keinen Freifahrtschein, nur weil er heiß ist und nette Dinge sagt. Tilly hat nicht Unrecht, mehr zu wollen.“

„Ja, aber sie hat auch nicht Recht, ihn deswegen abzuschießen,“ erwiderte Ralph und verschränkte die Arme. „Ich habe schon mal einen Lykaner gedatet, das weißt du, Georgia. Rudelpflichten sind ernst und kritisch. Komm schon, Tilly, gib Xavier eine Chance.“

Georgia sah mich an. „Arman war wirklich heiß, aber ein großer Flirt.“

Ralph schnaubte. „Mag sein, aber das bedeutet nicht, dass Xavier genauso ist.“

„Okay, aber erkläre mir, warum sie alle dieses Ding machen“, sagte ich und gestikulierte vage. „Dieses ‚Ich muss etwas tun, ich kann es nicht erklären, vertrau mir einfach‘-Unsinn? Nein, mein Herr, ich werde Ihnen nicht einfach vertrauen. Entweder erklären Sie es, oder ich nehme an, dass Sie ein Doppelleben führen.“

Georgia zeigte auf mich. „Genau! Wir sind erwachsen. Wenn du Vertrauen willst, dann kommuniziere.“

Ralph seufzte und fuhr sich mit der Hand durch die Haare. „Ihr zwei seid anstrengend.“

„Wir haben recht“, korrigierte Georgia.

Er verdrehte die Augen. „Hör zu, Arman hatte seine Fehler—“

„Untertreibung.“

„Aber“, fuhr Ralph fort und ignorierte mich, „er hatte auch echte Gründe, Dinge privat zu halten. Es gibt mehr in dieser Welt, als ihr beiden anerkennt.“

Ich stieß scharf die Luft aus, der Wind biss in meine Wangen. „Okay, aber wo ziehen wir die Grenze? Wann hört es auf, ‚vertrau mir‘ zu sein und wird zu Manipulation? Denn wenn ich diejenige sein muss, die ständig wartet, ständig Verständnis zeigt, ständig Platz für seine Realität schafft, wo zur Hölle passt dann meine hinein?“

Georgia schnippte mit den Fingern. „Genau das.“

Ralph stöhnte. „Ich hasse es, wenn ihr zwei euch zusammentut.“

„Wir sind die Stimme der Vernunft“, sagte Georgia selbstgefällig.

Ralph rieb sich die Schläfen. „Ich denke nur, du solltest mit ihm reden, bevor du alles niederbrennst.“

Ich biss mir auf die Lippe. Vielleicht. Aber Dinge niederzubrennen war meine Spezialität.

Bald frischte der Wind auf, schnitt durch meinen Pullover, und ich fröstelte. Die Weinflasche war leer, und der morgige Arbeitstag drohte wie ein Fallbeil.

Georgia gähnte und streckte sich. „Es ist eiskalt hier oben. Ich bin fertig – muss morgen funktionieren.“

Ralph nickte und erhob sich vom Sofa. „Ja, ich auch. Lass uns abhauen.“

„Geht schon mal vor“, sagte ich und winkte sie ab. „Ich brauche noch einen Moment.“

„Bist du sicher?“ fragte Georgia besorgt.

Ich nickte. „Macht euch keine Sorgen um mich.“

Sie zuckten mit den Schultern, griffen nach ihren Bechern und schlurften zu den Treppen, ihre Schritte verblassten. Ich blieb sitzen, der Drehstuhl knarrte unter mir, Ralphs Worte hallten in meinem Kopf wider. Mein Hals zog sich zusammen, und bevor ich es verhindern konnte, liefen mir Tränen über das Gesicht – heiße, unordentliche, wütende Tränen. Ich wischte mir über das Gesicht und murmelte: „Verdammte Werwolf-Pflichten.“

Das Dach fühlte sich jetzt zu still an, zu groß. Ich blinzelte in die Schatten in der Nähe der Klimaanlage – nichts als dunkle Ecken und Wind.

Ich stieß scharf die Luft aus und zwang mich zu einem Lachen. „Jesus, Tilly. Ein Glas billiger Merlot und du fängst an, dich wie in einem Horrorfilm zu verhalten.“

Ich atmete tief ein, aber dann lief mir ein Schauer über den Rücken. Ich erstarrte. Denn in der entferntesten Ecke bewegte sich etwas. Eine Gestalt in den Schatten.

Mein Puls stockte. Mein erster Gedanke war ein Waschbär. Mein zweiter Gedanke war ein Mörder. Mein dritter Gedanke war, dass ich mich gleich blamieren würde, und doch verriet mich mein Mund trotzdem.

„Hallo?“

Keine Antwort.

Der Schatten bewegte sich nicht, aber er fühlte sich auch nicht ... still an. Es war die Art von Präsenz, die man fühlt, bevor man sie sieht – die Art, die deine Instinkte zum Schreien bringt, auch wenn die Logik dir sagt, dass nichts da ist.

Ich schluckte und blinzelte erneut, zwang meine Augen, sich anzupassen. Mein Atem kam in unregelmäßigen Stößen. Vielleicht war es nur ein Lichtspiel. Vielleicht war ich paranoid.

Ich blinzelte.

Der Schatten war verschwunden.

Und dann – so sanft, so flüchtig, dass ich mich fast überredete, es mir eingebildet zu haben – strich etwas Kaltes über meine Wange.

Nicht der Wind. Etwas anderes.

Ich keuchte und drehte mich um, mein Herz schlug gegen meine Rippen, meine Hände zu Fäusten geballt, als könnte ich einem Geist ins Gesicht schlagen, wenn nötig.

Nichts.

Das Dach war immer noch leer. Die Stadt summte weiter, gleichgültig.

Ich ließ einen zitternden Atemzug los, meine Finger zitterten, als ich meine Wange berührte. Sie brannte immer noch von der Kälte.

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