




Du wirst ein Ersatz sein
Das Telefon fiel aus meiner zitternden Hand, als ich zurück in den Stuhl sank, meine Augen immer noch auf Sabrinas leblosen Körper gerichtet. Die Taubheit war erdrückend, aber es war alles, was ich jetzt fühlen konnte. Ich konnte mich kaum an das Gespräch mit meinem Vater erinnern. Die Worte waren fern gewesen, als ob ich durch die Stimme eines anderen sprechen würde. Ich nahm kaum das leise Rascheln der Ärzte und Krankenschwestern um mich herum wahr und konzentrierte mich nur auf die schwere Stille, die den Raum erfüllte.
Ich blickte zur Tür. Mein Vater und meine Mutter kamen. Ich kannte meinen Vater sehr gut, er würde Sabrina sehen wollen, um zu trauern, aber es gab nichts mehr zu sagen oder zu tun. Sie war fort. Die Last dieser Wahrheit drückte auf mich herab.
Meine Hände waren immer noch feucht von ihrem Blut. Jedes Mal, wenn ich die Augen schloss, sah ich ihr Gesicht, blass und angespannt, die verzweifelte Art, wie sie sich in ihren letzten Momenten an mich geklammert hatte, ihre Augen flehend um Hilfe, die sie nie bekommen würde. Es fühlte sich an, als hätte ich sie in jeder Hinsicht im Stich gelassen.
Langsam stand ich auf, mein Körper fühlte sich wie Blei an, und ging zum Fenster. Die Lichter der Stadt draußen wirkten fern und kalt, so weit entfernt von dem Chaos, das ich gerade durchlebt hatte. Wie waren wir hierher gekommen? Wie hatte sich diese Nacht von einer flüchtigen Freiheit in einen unumkehrbaren Verlust verwandelt?
Meine Eltern würden wütend sein, wenn sie herausfanden, was passiert war. Mein Vater würde wütend auf mich sein, weil ich Sabrina nicht beschützt hatte, weil ich sie uns hatte entgleiten lassen. Er hatte schon so viel von ihr erwartet, von mir, und jetzt würde diese Last vollständig auf meinen Schultern liegen.
Ich strich mir mit der Hand über das Gesicht und versuchte, die erdrückenden Emotionen loszuwerden, die mich zu ertränken drohten. Die Worte des Arztes hallten in meinem Kopf wider: „Wir haben alles getan, was wir konnten.“ Das hatten sie nicht. Das konnten sie nicht. Nicht, wenn der Schaden schon angerichtet war. Ich hätte sie früher da rausbringen sollen. Ich hätte sie beschützen sollen.
Dann öffnete sich die Tür, und ich drehte mich um, gerade als mein Vater eintrat. Sein Gesicht, normalerweise eine undurchdringliche Maske, war vor Trauer angespannt, sein Kiefer fest in jener harten Linie, die ich zu gut kannte. Aber jetzt konnte er nichts mehr tun. Keine Kontrolle ausüben.
Ich sah den Schmerz in seinen Augen, als er Sabrina ansah, die Risse, die sich in seiner sorgfältig konstruierten Fassade bildeten. Seine geliebte Tochter, fort. Und ich wusste, er würde mir die Schuld geben. Er würde mir immer die Schuld geben.
Er machte einen langen Schritt auf sie zu, sein Blick wich nicht von ihrem Körper, und dann, endlich, wandte er sich an mich. Die Worte waren da, hingen in der Luft, ungesagt, aber verstanden.
„Ich werde die Vorkehrungen treffen“, sagte er, seine Stimme heiser, hohl.
„Deine Mutter hat sich nicht gefasst, ich habe sie zu Hause gelassen, um zu klagen“, fügte er hinzu.
Ich nickte benommen, traute mich nicht zu sprechen. Was gab es zu sagen? Es war zu spät für Entschuldigungen, zu spät für alles. Alles, was mir blieb, war der überwältigende Schmerz ihres Fehlens, die nagende Schuld, dass ich nicht rückgängig machen konnte, was geschehen war.
Sabrina war fort, und nichts würde jemals wieder dasselbe sein.
Nachdem er mit den Ärzten gesprochen hatte, rief er einige Leute an, wahrscheinlich um die schnelle Beerdigung von Sabrina zu arrangieren.
Mein Vater sprach nach seinen Anrufen nicht mehr mit mir, sein Fokus lag ganz auf dem leblosen Körper vor ihm. Er stand steif da, die Hände zu Fäusten geballt, seine Trauer verborgen hinter derselben undurchdringlichen Mauer, die er immer aufrechterhielt.
Ich beobachtete ihn einen Moment lang und suchte nach etwas – irgendetwas –, das dieses Gefühl weniger unerträglich machen könnte. Aber da war nichts. Kein Trost. Keine Wärme. Nur das leise Summen der Maschinen, das keine Bedeutung mehr hatte, und das Gewicht all dessen, was ungesagt geblieben war.
Schließlich drehte er sich zu mir um, sein Blick scharf und erfüllt von etwas, das ich nicht ganz benennen konnte.
„Du solltest nach Hause gehen“, sagte er. Es war keine Bitte.
Ich schluckte den Kloß in meinem Hals hinunter. „Ich will nicht—“
„Hier kannst du nichts mehr tun.“ Sein Ton war endgültig. Abweisend.
Er wollte mich nicht hier haben. Oder vielleicht konnte er es einfach nicht ertragen, mich anzusehen, in dem Wissen, dass ich die letzte Person bei ihr gewesen war. In dem Wissen, dass ich versagt hatte.
Ich nickte steif und drehte mich zur Tür. Doch als ich nach dem Griff greifen wollte, änderte sich plötzlich alles. Sein Telefon summte in seiner Tasche, die scharfe Vibration durchbrach die Stille. Er nahm ohne zu zögern ab, seine Stimme war leise.
„Was ist los?“
Ich drehte mich um und beobachtete, wie sich seine Haltung versteifte, sein Griff um das Telefon fester wurde. Was auch immer am anderen Ende der Leitung gesagt wurde, es war nicht gut. Sein Gesichtsausdruck verdunkelte sich, sein Kiefer war so fest zusammengebissen, dass ich dachte, er könnte brechen.
„Wo?“ verlangte er zu wissen. Eine Pause. „Jetzt gleich?“
Ich trat einen Schritt näher, mein Puls beschleunigte sich. „Was ist los?“
„Alessandro hat bereits alles für die Hochzeit vorbereitet, ich habe ihm noch nichts vom Tod deiner Schwester erzählt“, sprach er mit panischer Stimme.
Der Heiratsvertrag?!
Was hatte er jetzt vor? Jetzt, wo meine Schwester tot war.
„Du hast es ihm nicht gesagt? Warum?“ Meine Stimme war heiser, kaum mehr als ein Flüstern.
Sein Schweigen war Antwort genug.
Die Panik in meiner Brust wuchs nur noch mehr. „Was hast du vor?“
Zum ersten Mal zögerte mein Vater. Seine Augen wanderten zur Tür und dann zurück zu mir, kalkulierend, abwägend. „Wir haben keine Zeit für das, Nikolai.“
Ich ballte die Fäuste. „Sag es mir.“
Er atmete scharf aus, als wäre das Gespräch selbst eine Zeitverschwendung. „Der Vertrag bleibt bestehen.“
Ich erstarrte. Mein Verstand raste.
Nein.
Das war nicht möglich. Sabrina war fort. Es gab keine Hochzeit mehr. Keine Allianz.
Es sei denn—
Mein Magen sank. „Du schlägst nicht etwa vor—“
„Der Deal wurde zwischen Familien gemacht, nicht zwischen Einzelpersonen“, unterbrach mein Vater kalt. „Es ging nie nur um Sabrina. Es ging darum, unsere Zukunft zu sichern.“
Ich trat einen Schritt zurück, schüttelte den Kopf. „Du kannst nicht von mir erwarten, dass ich...“
„Ich erwarte, dass du tust, was notwendig ist“, schnappte er, seine Stimme durchdrang meine Proteste. „Du wirst als Ersatz Alessandro heiraten.“
Ich erstarrte, als ich seine Worte hörte.
Ich, ein Mann?!
Einen anderen Mann heiraten?
Mein Atem stockte in meiner Kehle, mein Körper erstarrte, als hätten die Worte meines Vaters mich physisch getroffen.
„Was?“ Meine Stimme war kaum mehr als ein Flüstern, dick vor Unglauben.
Er zuckte nicht zusammen. Blinzelte nicht. „Du hast mich gehört. Die Hochzeit wird morgen Abend stattfinden, unmittelbar nach der Beerdigung deiner Schwester.“