




Geheimnisvoller Mann
Arias Perspektive
Die Boutique war riesig. So ein schicker Ort, den man sonst nur in diesen Hochzeits-Reality-Shows sah, wo Bräute wegen ihrer Kleider ausflippten und dramatische Zusammenbrüche hatten, weil ihre Mütter das ausgesuchte Kleid nicht mochten. Es roch nach Blumen und teurem Parfüm, und das Licht war weich und golden, sodass alles wie in einem Märchen wirkte.
Ich hingegen fühlte mich wie ein totaler Außenseiter.
Während andere Mädchen vor riesigen Spiegeln wirbelten, strahlend und verliebt in ihre Hochzeitskleider, stand ich nahe dem Eingang, die Arme fest über der Brust verschränkt. Meine schwarze Bluse und Jeans fühlten sich völlig fehl am Platz an in einem Meer aus weißer Spitze und Seide. Ich hasste es, umgeben von Menschen zu sein. Ich hasste Hochzeiten. Und am meisten hasste ich, dass ich hier sein musste und so tun sollte, als ob mich das alles interessierte.
„Aria! Komm, hilf mir, eines auszusuchen!“
Cassandras Stimme hallte wie eine Glocke durch die Boutique, süß und aufgeregt. Ich drehte mich um und sah sie auf einem dieser kleinen Podeste stehen, sich in einem hellblauen Kleid drehend, das um sie herum wie Wasser schwang. Sie sah natürlich aus wie eine Prinzessin. Das tat sie immer.
Unsere Mutter stand neben ihr und strahlte vor Stolz. „Oh, Cassandra, du siehst atemberaubend aus,“ schwärmte sie, die Hände zusammengelegt. „Absolut strahlend. Wie eine Prinzessin.“
Ich biss mir auf die Lippe und bereitete mich schon auf das vor, was kommen würde.
Cassandra drehte sich zu mir um, ihre Augen glänzten. „Na? Was denkst du?“
Ich zwang mir ein höfliches Lächeln ab. „Du siehst wunderschön aus, Cass.“
Und ich meinte es auch so. Sie sah wirklich wunderschön aus. Mit ihrem goldenen Haar und den perfekten honigfarbenen Augen war sie für solche Momente gemacht. Währenddessen war ich nur die Statistin im Hintergrund, der Schatten, den niemand wirklich wahrnahm.
„Du könntest zumindest so tun, als würdest du es ernst meinen,“ murmelte unsere Mutter, gerade laut genug für mich, um es zu hören.
Meine Hände ballten sich zu Fäusten, aber ich hielt meinen Mund. Es hatte keinen Sinn, sich zu streiten. Nicht heute.
Ich schlenderte davon und ließ meine Finger über die Spitze eines nahegelegenen Kleides gleiten. Das Material war weich unter meiner Berührung, zart und filigran. Ich wünschte, ich könnte einfach in den Stoff eintauchen und aus dieser ganzen Situation verschwinden.
Dann klingelte die Glocke über der Tür.
Und mein Magen verkrampfte sich.
Es war, als wüsste ich, was kommen würde, bevor ich mich überhaupt umdrehte.
Victor Castillo war angekommen.
Er schlenderte herein, als würde ihm der ganze Laden gehören, seine polierten Schuhe klapperten auf dem Marmorboden. Er hatte dieses selbstgefällige Grinsen im Gesicht, als wäre er die wichtigste Person im Raum. Meine Hände ballten sich noch fester. Ich hasste dieses Grinsen. Ich hasste alles an ihm.
„Meine Damen,“ begrüßte er und ging direkt auf unsere Mutter und Cassandra zu. „Ich musste einfach sehen, wie es meiner schönen Stieftochter geht.“
Stieftochter.
Ich wollte würgen.
Unsere Mutter schmolz natürlich fast dahin bei seinen Worten. „Victor, wie lieb von dir, dass du nach uns schaust.“
Sein Blick wanderte zu mir, und ich fühlte, wie mein ganzer Körper sich versteifte. Da war etwas Dunkles in seinem Blick, etwas, das meine Haut kribbeln ließ. Er wusste genau, was er tat.
„Du bist heute sehr still, Aria,“ murmelte er, gerade laut genug für mich, um es zu hören. „Freust du dich nicht auf die Hochzeit?“
Ich schluckte schwer und zwang mein Gesicht, neutral zu bleiben. „Ich mag einfach kein Einkaufen.“
Victors Grinsen wurde breiter. Er trat näher, seine Hand streifte meinen Arm – nur eine leichte Berührung, kaum spürbar, aber es reichte, um mir einen Schauer über den Rücken zu jagen.
„Schade,“ murmelte er. „Ein hübsches Mädchen wie du sollte es genießen, sich schick zu machen.“
Ich riss meinen Arm weg, als hätte seine Berührung mich verbrannt. Mein Herz pochte in meinen Ohren, meine Haut prickelte vor Unbehagen.
Victor lachte nur. Dann, als ob nichts geschehen wäre, wandte er sich wieder Cassandra zu, die immer noch vor dem Spiegel drehte, völlig ahnungslos.
Ich musste hier raus.
„Ich gehe mal kurz an die frische Luft,“ murmelte ich und wartete nicht auf eine Antwort, bevor ich direkt zur Tür hinausging.
Die kalte Luft traf mich wie eine Welle, und ich sog einen tiefen Atemzug ein, um meinen rasenden Puls zu beruhigen. Die Straße war belebt, Autos rasten vorbei, Menschen unterhielten sich, lachten, gingen ihrem normalen Leben nach. Ich wünschte, ich könnte einer von ihnen sein.
Dann – BAM.
Ich lief direkt gegen etwas Festes.
Oder, genauer gesagt, jemanden.
Ein Paar starker Hände packte meine Arme, bevor ich zurücktaumeln konnte. Mein Atem stockte.
Er war... groß. Wirklich groß. Mindestens 1,95 Meter, mit breiten Schultern und einem Anzug, der aussah, als wäre er nur für ihn gemacht. Sein schwarzes Haar war leicht zerzaust, als hätte er gerade mit den Fingern hindurchgefahren, aber irgendwie sah es trotzdem perfekt aus. Doch es waren seine Augen, die mich innehalten ließen.
Tief, durchdringend blau. Das Art von Blau, das einem das Gefühl gab, dass es direkt durch einen hindurchsehen konnte. Etwas Verspieltes lag in ihnen, als amüsierte ihn etwas, das ich nicht wusste.
Seine Lippen verzogen sich zu einem lässigen, schiefen Lächeln. „Alles in Ordnung, Prinzessin?“
Prinzessin?
Hitze schoss mir ins Gesicht. Ich wollte etwas sagen, aber mein Gehirn hatte komplett abgeschaltet. Alles, was ich tun konnte, war zu starren.
Er ließ ein leises Lachen hören, das eine seltsame, prickelnde Empfindung meinen Rücken hinunterjagte. Dann lehnte er sich leicht vor, sein Atem warm auf meiner Haut.
„Willst du weiter starren,“ murmelte er, „oder soll ich mich geschmeichelt fühlen?“
Mein Magen drehte sich um.
Ich schloss schnell meinen Mund und trat so hastig zurück, dass ich beinahe über meine eigenen Füße stolperte. Sein Grinsen vertiefte sich, seine Augen funkelten, als würde er das viel zu sehr genießen.
Er räusperte sich. „Nun, so unterhaltsam das auch ist, ich sollte mich wohl vorstellen.“
Ich blinzelte. Stimmt. Normale Menschen stellten sich vor.
„Ich – äh –“ Ich rang nach Worten, mein Gesicht brannte immer noch.
Sein Grinsen wurde breiter. „Matteo,“ sagte er glatt. „Und du bist?“
Ich zögerte. Irgendetwas an ihm fühlte sich... anders an. Als wäre er jemand, der meine Welt ohne Mühe auf den Kopf stellen könnte.
„...Aria,“ murmelte ich schließlich.
Matteos Augen verdunkelten sich leicht, sein Grinsen verwandelte sich in etwas Unlesbares. Er sah mich an, als würde er meinen Namen erkennen.
Bevor ich fragen konnte, warum, schwang die Tür der Boutique hinter mir auf.
Als ich zurück zu Matteo schaute, hatte sich sein Ausdruck verändert. Das Amüsement war immer noch da, aber jetzt war da noch etwas anderes in seinen Augen. Neugier. Interesse.
Als hätte er gerade etwas – jemanden – gefunden, der es wert war, beachtet zu werden.
Ein tiefes Lachen grollte aus seiner Brust, glatt wie Seide.
Mein Magen drehte sich um. Ich schloss schnell meinen Mund und trat einen Schritt zurück.
Er grinste, räusperte sich dann, und das Geräusch riss mich aus meiner Trance.
Ich blinzelte, als die Realität auf einmal zurückkehrte, als ich Victors kratzige Stimme hörte. Mein Herz raste immer noch, meine Haut prickelte immer noch dort, wo seine Finger mich berührt hatten.
Wer zum Teufel war dieser Mann?
Und warum hatte er das Gefühl verursacht, als hätte sich der Boden unter meinen Füßen verschoben?