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Kapitel 6

JACE

Die Berge von Montana waren im ersten Licht der Morgendämmerung getaucht, als ich mich durch den dichten Wald bewegte. Diese frühen Morgenpatrouillen waren zu einem Ritual geworden—ein Moment der Einsamkeit, bevor das Gewicht der Führung wieder auf meinen Schultern lastete.

„Alpha, die Nordgrenze ist klar“, meldete Hunter durch unsere Gedankenverbindung, kurz bevor ich das Gelände verließ.

Ich überprüfe selbst die Ostgrenze. Halte die regulären Patrouillen aufrecht, antwortete ich, meine Gedanken reisten über die unsichtbare Verbindung zwischen uns.

Als Alpha des Moon Shadow Packs hätte ich diese Aufgabe jedem meiner Krieger übertragen können, aber es gab etwas Erdendes daran, die Erde unter meinen Füßen zu spüren und persönlich sicherzustellen, dass mein Territorium—mein Volk—sicher blieb. Zweihundert Werwölfe verließen sich darauf, dass ich sie beschützte, und dieser Pflicht nahm ich mit größtem Ernst an.

Die kühle Bergluft füllte meine Lungen, während ich lautlos zwischen uralten Kiefern hindurchging. Phantom, mein Wolfsgeist, war aufmerksam, aber ruhig, während wir tiefer in die Wildnis vordrangen. Anders als bei anderen Werwölfen, deren Wölfe im Wesentlichen eine Erweiterung ihrer selbst waren, war meine Verbindung zu Phantom anders. Er war riesig—ein silberrückiger schwarzer Wolf, doppelt so groß wie jeder andere in unserem Rudel. Die alte Blutlinie des Urwolfs, die durch meine Adern floss, war sowohl Segen als auch Bürde.

Zuerst der östliche Grat, dann das südliche Tal, plante ich, unsere Route durch das vertraute Territorium kartierend.

Auf halbem Weg zum Grat spannte sich Phantom plötzlich an. Ich erstarrte mitten im Schritt, meine Sinne sofort geschärft.

Jemand nähert sich der Grenze, knurrte Phantom in meinem Geist, seine Wahrnehmung über meine eigene hinaus erweiternd.

Ich wandte mich der südlichen Grenzstraße zu, dem wahrscheinlichsten Zugangspunkt. Gabriel und seine Familie—könnten sie schon angekommen sein? Ich erreichte Hunter durch unsere Verbindung.

Mögliche Besucher am südlichen Eingang. Könnte Gabriels Familie sein. Halte die Patrouillen wachsam, aber nicht bedrohlich.

Als ich mich der Grenzstraße näherte, erregte ein Duft meine Aufmerksamkeit. Zunächst subtil, dann zunehmend klarer—wilde Walderdbeeren vermischt mit der Frische der Luft nach dem Regen. Der Duft war berauschend, anders als alles, was ich zuvor erlebt hatte. Mein Tempo beschleunigte sich unwillkürlich.

Durch die Bäume sah ich ein SUV langsam die Zufahrtsstraße entlangfahren. Es näherte sich mit angemessener Vorsicht, die Scheinwerfer schnitten durch die verbleibende Dunkelheit.

Als das Fahrzeug näher kam, senkte sich das Fenster leicht—und der Duft intensivierte sich, fast überwältigend. Meine Augen fixierten sich auf den Passagier im Inneren.

Eine junge Frau saß auf dem Rücksitz, ihre smaragdgrünen Augen scannten vorsichtig den Wald. In dem Moment, als ich sie sah, änderte sich alles. Phantom stürmte in mir auf, eine urtümliche Erkenntnis, die mich bis ins Mark erschütterte.

Ich machte einen instinktiven Schritt zurück. Das konnte nicht passieren. Nicht jetzt.

Sie gehört zu UNS, brüllte Phantom in meinem Kopf, die Wucht seiner Gewissheit traf mich wie ein physischer Schlag. Unsere wahre Gefährtin.

Ich widerstand dem Drang, kämpfte gegen den Instinkt an, der verlangte, dass ich sie sofort beanspruche. Sie war menschlich. Und jung. Und eindeutig Teil von Gabriels Familie – genau den Menschen, die ich geschworen hatte zu beschützen.

Wir müssen gehen. JETZT, befahl ich Phantom, der sich mit ungewöhnlicher Kraft gegen meine Kontrolle wehrte.

Kannst du es nicht fühlen? verlangte Phantom. Die Verbindung zwischen uns. Sie ist für uns bestimmt.

Mein Herz hämmerte gegen meine Rippen. Fünf Jahre waren vergangen, seit Vanessa gegangen war und mich allein mit Aurora zurückgelassen hatte. Fünf Jahre, in denen ich mich nur auf mein Rudel und meine Tochter konzentriert hatte. Ich war nicht darauf vorbereitet – auf SIE.

Sie braucht Schutz. Keine Verwirrung, argumentierte ich mit Phantom, der widerwillig nachgab, obwohl ich seine Unzufriedenheit durch unsere Verbindung spüren konnte. Sie kommt zu uns, um Sicherheit zu finden, nicht um von einem Alpha beansprucht zu werden, den sie nie getroffen hat.

Ich schob das Chaos beiseite und kontaktierte erneut Hunter.

Sie sind hier. Triff sie am südlichen Eingang. Ich werde bald dort sein, wies ich an und begab mich in Position, wo ich beobachten konnte, ohne Phantoms Aufregung zu offenbaren.

Der SUV hielt an unserer Territoriumsmarkierung. Gabriel stieg als Erster aus, seine Haltung wachsam, aber respektvoll. Lucas folgte, den Waldrand mit geübtem Blick absuchend.

Ich trat auf die Straße mit zwei meiner Krieger an meiner Seite, bewahrte die würdevolle Haltung, die von einem Alpha erwartet wurde. Das Gewicht der Autorität legte sich über mich und verbarg das Chaos darunter.

Hunter trat als Erster vor, ergriff Gabriels Unterarm im traditionellen Wolfgruß. "Alter Freund," sagte er warm. "Es ist zu lange her."

Gabriels Erleichterung war offensichtlich, als er die Geste erwiderte und sich dann respektvoll zu mir wandte. "Alpha Carter. Danke, dass Sie uns in Ihr Territorium lassen."

"Gabriel Silverbrook," erwiderte ich, meine Stimme fest trotz Phantoms Unruhe. "Das Mondschatten-Rudel heißt euch willkommen." Ich deutete auf den wartenden SUV. "Das sind deine Familienmitglieder?"

"Ja," bestätigte Gabriel. "Mein Sohn Lucas und meine Tochter Aria."

Der Name ließ einen Schock durch mich fahren. Aria. Phantom schnurrte den Namen praktisch in meinem Kopf.

"Wir haben Unterkünfte für euch vorbereitet," sagte ich. "Für den Moment möchte ich euch ins Rudelhaus einladen zur formellen Willkommenszeremonie. Das ist Tradition für Neuankömmlinge."

Gabriel nickte dankbar. "Wir schätzen eure Gastfreundschaft, Alpha. Es bedeutet mehr, als ihr wisst."

"Hunter wird euch begleiten," sagte ich, da ich Abstand brauchte, um mich zu sammeln. "Ich werde euch im Rudelhaus treffen."

Sobald sie außer Sichtweite waren, zog ich mich in den Wald zurück, streifte meine Kleidung ab und ließ die Verwandlung geschehen. Knochen knackten und formten sich neu, Muskeln dehnten sich, Fell brach aus meiner Haut hervor, als Phantom physische Gestalt annahm – massiv und kraftvoll, sich mit unmöglicher Geschwindigkeit durch die Bäume bewegend.

Während ich zum Rudelhaus raste, tobten meine Gedanken. Meine wahre Gefährtin war angekommen – ein menschliches Mädchen, das Zuflucht suchte. Aurora brauchte eine Mutterfigur. Das Rudel brauchte eine Luna. Aber Aria brauchte Sicherheit und Zeit.

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