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Kapitel 6

Die nächste Nacht strichen meine Finger über die sich bildenden blauen Flecken an meinen Handgelenken, während ich Billy friedlich im Krankenhauszimmer schlafen sah. Das Chaos der Nacht hatte sich in eine unbehagliche Stille verwandelt, die nur durch das leise Piepen der medizinischen Geräte und gelegentliche Schritte im Flur unterbrochen wurde.

Ich sollte erleichtert sein. Mein Sohn erholte sich, die unmittelbare Krise war vorbei. Stattdessen fühlte ich eine schleichende Angst, wissend, dass der relative Frieden nicht anhalten konnte. Nicht nach dem, was mit Henry im Treppenhaus passiert war. Nicht nach dem, was ich gewagt hatte, über Scheidung zu erwähnen.

Plötzlich klickte die Tür hinter mir auf. Ich drehte mich sofort um, und es war wieder Henry.

„Komm mit mir.“ Seine Stimme war tief und befehlend. „Wir müssen das beenden, was du letzte Nacht angefangen hast.“

Bevor ich protestieren konnte, packte seine Hand meinen Arm und zog mich zur Tür. Ich warf einen verzweifelten Blick auf Billy, aber er schlief weiter, ahnungslos gegenüber dem Albtraum, der sich um ihn herum entfaltete.

Das Notfalltreppenhaus war genau so, wie wir es letzte Nacht verlassen hatten, beleuchtet vom kränklich grünen Schein der Ausgangsschilder. Henry drückte mich gegen die Wand, sein Körper umschloss meinen.

„Das Verlangen, das du letzte Nacht entfacht hast, ist nicht verschwunden,“ knurrte er, seine Hände bewegten sich bereits besitzergreifend über meinen Körper.

Ich versuchte ihn wegzustoßen, Wut brannte durch meine Angst. „Was? Was bin ich für dich? Nur ein Werkzeug für deine Begierden?“

Seine Antwort war, meinen Hals zu packen, nicht ganz würgend, aber bedrohlich. „Ich habe dir letzte Nacht gesagt. Du bist meine Frau. Mein Eigentum. Nichts weiter.“

„Henry Harding, du Bastard!“ Ich spuckte die Worte aus und kämpfte gegen seinen Griff. „Das ist Vergewaltigung! Ich werde dich wegen Vergewaltigung in der Ehe anzeigen!“

Henry lachte, das Geräusch hallte von den Betonwänden wider. „Wer würde dir glauben? Die Gerichte? Die Polizei? Du vergisst, wer ich bin.“

„Fahr zur Hölle!“ Ich kämpfte gegen ihn, meine Nägel rissen an seinem perfekten Anzug. „Du kranker, verdrehter Psychopath!“

Sein Griff wurde fester. „Kämpfe weiter. Das macht es nur interessanter.“

„Ich hoffe, du kriegst ihn nicht hoch, wenn du mit Isabella zusammen bist!“ Die Worte brachen bitter und grob aus mir heraus.

Etwas Dunkles blitzte in Henrys Augen auf, und dann explodierte Schmerz in meinem Gesicht, als seine Hand meine Wange traf. Was folgte, war ein Wirbel aus Gewalt und Verletzung, meine Schreie hallten in dem geschlossenen Raum wider, bis meine Stimme völlig versagte.

Später, Minuten oder eine halbe Stunde, ich konnte es nicht sagen. Ich sank gegen die Wand, mein Körper schmerzte, meine Lippen waren geschwollen, meine Augen brannten.

„Henry,“ meine Stimme war kaum ein Flüstern, „bitte... lass uns das beenden. Wenn du diese Ehe so sehr hasst, lass sie uns einfach beenden. Billy und ich werden weit weg von dir bleiben. Gib mir nur das Sorgerecht für Billy. Bitte?“

Die Stille dehnte sich zwischen uns aus, schwer mit unausgesprochenen Dingen. Als Henry endlich sprach, war seine Stimme gefährlich sanft. „Geht es hier um Thomas Sanders? Liebst du ihn?“

„Nein,“ würgte ich heraus, Tränen liefen über mein Gesicht. „Ich weiß, du verachtest diese Ehe. Ich kann es nicht ertragen, dich so unglücklich zu sehen. Um deiner selbst willen, bitte...“

Seine Hand schoss hervor, die Finger umschlossen wieder meinen Hals. „Lass dir das gesagt sein. Erwähne nie wieder Scheidung.“

Ich kratzte an seiner Hand, kämpfte um Luft. „Henry...“

„Wenn ich dieses Wort jemals wieder von dir höre,“ er lehnte sich nah an mich heran, sein Atem heiß an meinem Ohr, „wirst du Thomas Sanders' Leiche auf deiner Türschwelle finden.“

Die Drohung hing zwischen uns in der Luft, kristallklar in ihren Implikationen. Henry ließ mich los und richtete seine Krawatte mit perfekter Gelassenheit. „Und wenn du es wagst, zu ihm zu gehen...“ Er ließ die Drohung unvollendet, aber ihre Bedeutung war unmissverständlich.

Ich sank auf den Boden, als er ging, und Schluchzen erschütterten meinen Körper, bis keine Tränen mehr übrig waren.

Zwei Tage später bereiteten wir uns darauf vor, das Krankenhaus zu verlassen. Billys Genesung war bemerkenswert, obwohl er immer wieder fragte, ob er sich von „Dr. Sanders“ verabschieden könne. Ich fand Ausreden, und meine Kehle schnürte sich jedes Mal zu, wenn ich an Henrys Drohungen dachte.

Als wir das Manhattan General verließen, schlug uns die herbstliche Luft entgegen, frisch und klar. Die Ahornbäume, die die Straßen säumten, färbten sich golden. Billy plapperte fröhlich im Taxi, während ich aus dem Fenster starrte und mich fragte, wie mein Leben so geworden war, wie es war.

Das Harding-Anwesen erhob sich vor uns und erstreckte sich wie ein kleines Königreich entlang der Goldküste von Long Island. Als unser Taxi vor den Toren hielt, konnte ich bereits das Gewicht der Erwartungen des Herrenhauses auf meinen Schultern spüren.

Der Butler half mit unserem Gepäck, und ich brachte ein höfliches Dankeschön hervor, meine gesellschaftlichen Manieren noch intakt, auch wenn ich innerlich zerbrach. Aber die wahre Prüfung wartete im Wohnzimmer.

Catherine Harding, Henrys Mutter, saß wie eine Königin, die Hof hielt, mit Isabella Scott und Grace Harding an ihrer Seite wie Hofdamen. Ihr Lachen verstummte, als Billy und ich eintraten, und wurde durch Blicke ersetzt, die von Verachtung bis hin zu offener Feindseligkeit reichten.

„Was für eine Mutter bist du?“ Catherine's Stimme schnitt durch die Luft wie eine Klinge. „Du arbeitest nicht, du kümmerst dich nicht um den Haushalt und du kannst nicht einmal dein Kind gesund halten? Er ist jede zweite Woche krank! Ist das deine Vorstellung von mütterlichen Pflichten?“

Grace, Henrys Schwester, stimmte mit geübtem Timing ein. „Mama hat recht, Sophia. Wie unterscheidest du dich von nutzlosem Müll? Wenn du ihn nicht richtig erziehen kannst, sollte es vielleicht jemand anderes tun!“

Ich stand wie erstarrt, die vertraute Demütigung brannte in mir. Doch bevor ich antworten konnte, meldete sich eine kleine Stimme.

„Oma,“ Billys Stimme war klar und fest, trotz seiner jüngsten Krankheit, „es war eine Virusinfektion! Viren sind unsichtbar, es ist nicht Mamas Schuld!“

Mein fünfjähriger Sohn, der mich verteidigte, wenn sonst niemand es tat. Ich sah, wie Isabellas Hand besitzergreifend auf Catherines Arm ruhte, sah Graces selbstzufriedenes Grinsen, sah die kleinen Schultern meines Sohnes, die sich entschlossen strafften.

Und ich erkannte, dass Henrys Drohungen nicht mehr nur um Gewalt gingen. Es ging um Macht, um Kontrolle, darum, mich in diesem goldenen Käfig gefangen zu halten, wo selbst die Luft vergiftet schien.

Die Herbstsonne strömte durch die Fenster des Herrenhauses, fing den Kristallleuchter ein und warf Regenbogenprismen durch den Raum. Doch mein Herz war voller Traurigkeit.

Billys kleine Hand schlüpfte in meine, warm und vertrauensvoll. In diesem Moment wurde meine Traurigkeit ein wenig vertrieben.

Ich stand in diesem eleganten Wohnzimmer, zwang ein Lächeln und tat so, als würde ich nicht bemerken, als Isabella etwas flüsterte, das Catherine zum Lachen brachte. Schließlich tun Harding-Frauen genau das. „Eines Tages werde ich dieses Haus verlassen,“ dachte ich.

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