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Kapitel 8: Sie hat mich in ihrer Ecke

„Warte, du willst diese Verlobungssache jetzt sofort beenden?“ John konnte seine Überraschung über Irenes direkte Herangehensweise nicht verbergen, obwohl er schnell in einen eifrigen Modus wechselte. „Nun, wenn das dein Wunsch ist...“

James, immer zur Stelle, zog wie durch Zauberhand die Papiere hervor. „Hier, Miss Irene“, sagte er leise und legte den Lederordner hin, als würde er etwas Kostbares behandeln.

Irene griff ohne zu zögern nach dem edlen Stift. Vor fünf Jahren wäre sie beim Unterzeichnen dieser Papiere ein emotionales Wrack gewesen, hätte wahrscheinlich ihre Augen über den Verlust von Richard ausgeweint. Aber dieses Mädchen? Lange vorbei. Diese Irene - selbstbewusst, erfolgreich und völlig darüber hinweg - wollte das nur noch abschließen und weitermachen.

„Moment mal.“ Richard unterbrach sie, während er sie wie ein Habicht beobachtete. Seine sonst so geschmeidige Art war nirgendwo zu finden. „Vielleicht sollten wir vorher privat darüber sprechen.“

Irene sah nicht einmal auf. „Es gibt nichts zu besprechen.“ Ihre Unterschrift war schnell und sauber - kein Drama, keine Tränen, nur das Buch schließen über etwas, das schon vor Jahren hätte enden sollen.

John sah aus, als wäre Weihnachten früh gekommen. „Nun, das wäre erledigt.“ Er schnappte sich die Papiere fast. „Jetzt, da wir dieses kleine Durcheinander geregelt haben-“

„Eigentlich,“ wechselte er den Ton und wandte sich mit einem warmen Lächeln an Anna, „habe ich zwei Ankündigungen. Erstens, der Vorstand hat grünes Licht gegeben, zwei Prozent meiner Anteile als Mitgift an Anna zu übertragen.“

Anna zog ihre beste „Papilein’s gutes Mädchen“-Nummer ab - große Augen und die Hand aufs Herz. „Oh Vater, ich... Die Anteile bedeuten mir wirklich nichts. Deine Tochter zu sein, ist alles, was ich je wollte - ich würde alles andere dafür aufgeben.“

John und Rose wurden bei der kleinen Show ihrer kostbaren Adoptivtochter fast zu Brei.

„Oh Liebling, hör auf, so bescheiden zu sein.“ Rose strahlte förmlich. „Nach allem, was du für die Familie getan hast, verdienst du das vollkommen. Und eigentlich...“ Sie konnte ihre Aufregung kaum zügeln. „Wir haben noch bessere Nachrichten. Wir denken darüber nach, dich mit der Familie Vein zu verkuppeln!“

Wow, wie perfekt, dachte Irene mit einem Augenrollen. Miss Perfekt bekommt die Anteile UND einen reichen Ehemann. Muss schön sein.

Der Raum wurde sehr still. Anna gab sich schüchtern, aber Irene sah diesen Blitz von erwischt in ihren Augen. Richard schien das ganze Verlobungsding kaum zu bemerken - er war zu beschäftigt, Irene anzustarren, als wäre sie ein Rätsel, das er nicht lösen konnte.

„Absolut nicht.“ Josephs Stimme durchbrach den Raum wie ein Peitschenhieb.

Alle drehten sich um und sahen ihn im Türrahmen in seinem Rollstuhl, James wie immer hinter ihm. Joseph sah ernsthaft wütend aus, als er sich nach vorne rollte.

„Dad,“ versuchte John, „das ist einfach gutes Geschäft. Anna hat bewiesen-“

„Bewiesen was?“ Joseph ließ ein völlig unamüsiertes Lachen hören. „Jemand ohne Sterling-Blut hat kein Recht auf unsere Anteile. Gar keins.“

Rose sprang ein, ihre perfekte Gastgeberin-Fassade rutschte. „Dad, wir haben Anna zwanzig Jahre lang großgezogen. Sie ist genauso unsere Tochter wie-“

„Wie wer?“ fiel Joseph ihr ins Wort. „Wie die Tochter, die ihr auf die Straße gesetzt habt? Diejenige mit tatsächlichem Sterling-Blut? Diejenige, die etwas aus sich gemacht hat, obwohl ihr alle euer Bestes getan habt, ihr Leben zu ruinieren?“

Annas süße Fassade brach für einen Moment, purer Hass blitzte über ihr Gesicht, bevor sie sich wieder zusammenriss. „Großvater, bitte. Ich weiß, dass ich nicht zur Blutlinie gehöre, aber ich habe so hart versucht, den Namen Sterling zu ehren-“

„Hör auf damit.“ Irene hielt ihre Stimme leise, doch jeder hörte sie glasklar. „Lass uns aufhören, Anna. Du bist nicht meine Schwester, und wir beide wissen, dass du nie versucht hast, es zu sein.“

Die Stille danach? Man hätte eine Stecknadel fallen hören können. Annas perfekte Tochtermaske zerbrach völlig unter Irenes ruhigem Vorwurf.

„James.“ Josephs Stimme hatte diesen „Leg dich nicht mit mir an“-Ton, der ihr ganzes Imperium aufgebaut hatte. „Hol den Safe.“

James bewegte sich wie ein Ninja und kam mit einem dicken Umschlag zurück, auf dem das Firmenlogo glänzte.

„Dad?“ Johns Stimme hatte diesen warnenden Unterton. „Was machst du da?“

Joseph nahm den Umschlag von James, seine Hände waren absolut ruhig. „Etwas, das ich vor fünf Jahren hätte tun sollen.“ Er hielt die Papiere Irene hin. „Zwanzig Prozent der Firmenanteile, direkt an dich, Liebes.“

Und dann brach das Chaos aus.

„Das kannst du nicht!“ Rose verlor völlig die Fassung. „Dad, das ist keine kleine Entscheidung!“ Ihr Kopf raste offensichtlich zu ihren drei Söhnen, wahrscheinlich sah sie ihr Erbe in Rauch aufgehen.

John wurde kreidebleich. „Vater, sei vernünftig-“

„Vernünftig?“ Josephs Stimme erhob sich über das Durcheinander. „Wie damals, als du dein eigenes Kind rausgeworfen hast? Als du deinen kostbaren Ruf über deine Tochter gestellt hast?“ Sein ganzes Gesicht wurde weich, als er Irene ansah. „Wenn diese Familie nicht zu dir steht, hast du immer noch deinen Großvater an deiner Seite!“

Irenes Hände zitterten leicht, als sie den Umschlag nahm. Er fühlte sich schwer an – nicht nur das Papier, sondern alles, was es bedeutete. Ihr Großvater unterstützte sie, als alle anderen sie im Stich ließen.

Anna sah aus, als würde sie gleich explodieren, während zwanzig Prozent der Firma – weit mehr als ihre mickrigen zwei Prozent Mitgift – durch ihre Finger glitten. Richards Augen waren auf den Umschlag geheftet, wahrscheinlich rechnete er im Kopf.

„Das ist verrückt.“ John ging auf Irene zu, die Hand ausgestreckt. „Gib mir diese Papiere. Sofort.“

Irene trat zurück und hielt den Umschlag wie ihren Rettungsanker fest. Das verängstigte Mädchen, das vor fünf Jahren weggelaufen war? Verschwunden. An ihrer Stelle stand eine echte Chefin, die genau wusste, was sie wert war, die ihr eigenes Leben aufgebaut und drei geniale Kinder ganz allein großgezogen hatte.

„Da ihr mich nicht als eure Tochter wollt,“ sagte sie kühl wie Eis, „welches Recht habt ihr, mich aufzuhalten?“

Das brachte alle schnell zum Schweigen. Johns Hand fiel herunter, als hätte sie sich verbrannt. Rose stoppte mitten im Protest. Annas perfekte kleine Welt begann an den Rändern zu zerbrechen.

Irene beugte sich hinunter, um ihren Großvater auf die Wange zu küssen. „Danke,“ flüsterte sie, und meinte weit mehr als nur die Anteile.

Joseph tätschelte ihre Hand, seine Augen funkelten, als hätte er die beste Zeit seines Lebens. „Zeig ihnen, wie ein echter Sterling aussieht, Baby.“

Mit erhobenem Kopf ging Irene hinaus. Das Klicken ihrer Absätze war das einzige Geräusch in dem vor Schock erstarrten Raum. An der Tür drehte sie sich noch einmal um – nahm den nutzlosen Zorn ihres Vaters, die intrigante Angst ihrer Mutter, Annas kaum versteckten Hass und das stolze Grinsen ihres Großvaters in sich auf.

Vor fünf Jahren war sie weinend und verwirrt von diesem Ort weggelaufen. Jetzt? Sie ging hinaus wie eine Königin, mit echter Macht in ihren Händen.

Die schweren Türen schlossen sich hinter ihr und Irene lächelte. Lass sie in ihrem Drama schmoren. Sie hatte drei brillante Kinder, die im Hotel auf sie warteten, eine Killerkarriere, die sie aus dem Nichts aufgebaut hatte, und jetzt einen fetten Anteil an der Firma, die sie verstoßen hatte.

Das Spiel begann – und diesmal schrieb sie die Regeln.

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