




Kapitel 7
Irene fand Joseph ruhend in seinem Stuhl vor, genau so, wie sie ihn in Erinnerung hatte. Die Zeit schien zu schmelzen, während sie im Türrahmen stand und den Mann beobachtete, der ihr einziger wirklicher Verbündeter in der Familie Sterling gewesen war.
„Opa“, rief sie leise. „Ich bin hier.“
Josephs Augen öffneten sich sofort, sein ganzes Gesicht erhellte sich heller als der Times Square an Silvester. „Mein liebes Mädchen!“ Er richtete sich in seinem Stuhl auf, die Arme ausgestreckt. „Endlich! Komm her, lass mich sehen, wie wunderschön du geworden bist.“
„Oh mein Gott“, strahlte er, als sie näher kam, die Augen funkelten vor Stolz. „Einfach perfekt! Noch hinreißender, als ich es mir vorgestellt habe. Siehst du? Ich habe immer allen gesagt, dass meine Enkelin ein ungeschliffener Diamant ist. Das Leben bei dieser Fastfood-Arbeiter-Familie hat nur deine wahre Natur verborgen.“ Er grinste und sah ziemlich zufrieden aus. „Wie könntest du nicht außergewöhnlich sein? Du bist schließlich eine Sterling! Dieser Vein-Junge muss völlig blind gewesen sein!“
Wärme breitete sich in Irenes Brust aus. Genau deswegen war sie zurückgekommen. Nicht wegen des Sterling-Namens oder des Vermögens, sondern wegen dieses liebenswerten alten Mannes, der nie aufgehört hatte, an sie zu glauben. „Die letzten Jahre, Opa, habe ich deinen Rat befolgt. An mir gearbeitet. Deshalb bin ich jetzt anders – endlich würdig, zurückzukommen und dich zu sehen.“
„Natürlich, natürlich...“ Josephs Stimme wurde ganz weich und gefühlvoll. „Und sieh, wie weit du gekommen bist! Mein brillantes Mädchen – eine renommierte Chirurgin, die in der medizinischen Welt für Aufsehen sorgt!“
Sein Gesicht verfinsterte sich plötzlich. „Diese törichten Eltern von dir sollten dich jetzt sehen. Ihre eigene Tochter wegzuwerfen und jemand anderes Kind wie kostbares Gold zu behandeln. Absoluter Wahnsinn!“
Etwas flackerte in Irenes Augen bei seinen Worten. Als ihre wahre Identität sechs Monate vor ihrem Weggang enthüllt wurde, hatte Joseph darauf bestanden, dass Anna zu ihren leiblichen Eltern zurückkehrte – den Fastfood-Arbeitern, die Irene großgezogen hatten. Aber John und Rose, zu stolz, um zuzugeben, dass sie zwanzig Jahre lang auf das falsche Pferd gesetzt hatten, weigerten sich, ihre perfekt gepflegte Gesellschaftsprinzessin gehen zu lassen. Vor zwei Jahren, gegen Josephs vehemente Einwände, adoptierten sie Anna offiziell. Nun blieb sie die geliebte Tochter der Familie Sterling, während Irene, ihre wahre Erbin, im Schatten lebte.
„Opa“, Irene drückte sanft seine Hand. „Was sie denken, ist nicht mehr wichtig. Deine Meinung ist die einzige, die mir wichtig ist. Ich bin nicht hier, um mit meinen Errungenschaften zu prahlen. Ich bin hier für dich und um diese alte Verlobungssache zu klären. Sobald ich einen geeigneten Ort gefunden habe und mich eingelebt habe, würde ich dich gerne bei uns wohnen lassen. Wir könnten dort besser auf deine Gesundheit achten. Was denkst du?“
„Natürlich, mein Liebling, natürlich. Was immer du sagst.“ Joseph hellte bei dieser Idee sofort auf. „Dieses Haus fühlt sich sowieso erstickend an. Ich würde viel lieber Zeit mit dir und meinen drei kostbaren Urenkeln verbringen.“
Die Erwähnung der Drillinge löste seine vorherige Griesgrämigkeit völlig auf, seine Augen leuchteten wie Weihnachtslichter. „Apropos, sie wissen, wer ich bin, oder? Sind sie sicher im Hotel?“ Seine Augen kräuselten sich vor Sorge. „Solche klugen, liebenswerten Kinder... man sollte sie nicht zu lange alleine lassen.“
Irene konnte nicht anders, als zu lachen. „Keine Sorge, Opa. Diese drei? Sie sind viel zu schlau für ihr eigenes Wohl. Jeder, der versucht, ihnen zu schaden, würde es bereuen.“
Ein sanftes Klopfen unterbrach ihr Gespräch. James erschien, seine perfekt butlerhafte Haltung wurde durch echte Wärme gemildert. „Miss Irene, Mr. und Mrs. Sterling sind zurückgekehrt. Sie bitten um Ihre Anwesenheit unten.“
Josephs Ausdruck verhärtete sich. „Bereit, ihnen gegenüberzutreten?“
„Immer“, Irene glättete ihr Kleid. Fünf Jahre hatten ihr mehr als nur Selbstvertrauen gegeben – sie hatten ihr Perspektive gegeben. Diese Menschen mochten ihr Blut teilen, aber sie waren nicht ihre Familie. Nicht wirklich.
In dem Moment, als Irene die Treppe hinunter in die große Halle schwebte, verstummte jede Unterhaltung. John starrte sie an, als hätte er ein Gespenst gesehen. „Bist du das... wirklich?“
Josephs höhnisches Schnauben hätte Preise für Sarkasmus gewinnen können. „Kannst du deine eigene Tochter jetzt nicht einmal mehr erkennen, John?“
Anna konnte ihre Augen nicht von Irene abwenden. Gott, sie ist völlig anders, dachte sie. Damals war sie nur dieses unbeholfene Mädchen, das von einer Meile Entfernung als Kind eines Fast-Food-Arbeiters erkennbar war. Aber jetzt... Selbst Anna musste zugeben, dass Irene sich mit der natürlichen Anmut des alten Geldes bewegte, als wäre sie darin geboren. Was sie technisch gesehen auch war.
Die Art, wie Joseph Irene ansah, ließ Annas Brust vor Anspannung fast platzen. In all ihren Jahren als Tochter der Sterlings hatte er ihr nie solch bedingungslose Liebe und Stolz gezeigt. Nicht einmal, als sie als Jahrgangsbeste abschloss, nicht als sie half, die Fusion für die Sterling Group zu sichern. Nichts, was sie tat, verdiente diese Art von Wärme von ihm.
Richard konnte ebenfalls nicht aufhören zu starren, seine Augen folgten Irene bei jeder Bewegung wie ein verliebter Welpe. Wenn sie vor fünf Jahren so ausgesehen hätte... Er bereute ernsthaft seine hastige Entscheidung, sie abzuservieren.
Anna biss die Zähne zusammen, als sie Richards offensichtliche Faszination für Irene bemerkte. Ihr Magen machte einen unangenehmen Flip – sie hatte diesen Blick in seinen Augen schon einmal gesehen, aber nie mit solcher Intensität auf sie gerichtet. Ein flüchtiges Unbehagen durchzog sie; schließlich war Irene die wahre Erbin der Sterlings. Was, wenn...?
„Hallo, Großvater.“ Anna trat vor, um die Spannung zu brechen.
Josephs Antwort hätte die Hölle einfrieren können. „Warum bist du hier? Angelegenheiten der Familie Sterling gehen Außenstehende nichts an.“
„Mann, Dad!“ John sprang sofort ein. „Komm schon, Anna war zwanzig Jahre lang unsere Tochter. Sie ist immer noch unsere Adoptivtochter. Du kannst sie nicht einfach so behandeln!“
„Oh, kann ich das nicht?“ Josephs Stimme tropfte vor Sarkasmus, genug um ein Becken zu füllen. „Lass mich das glasklar machen – Blut ist Blut. Meine echte Enkelin steht genau hier, während ihr zwei...“ Er starrte John und Rose an. „Ihr habt euer eigenes Fleisch und Blut für das Kind eines anderen beiseite geworfen. Was hat euch geblendet? Euer kostbarer Stolz? Oder war es einfach bequemer?“
Roses Lippe kräuselte sich vor Abscheu. „Ich habe keine so schändliche Tochter.“
Josephs Wut war greifbar, sein Arm zitterte vor Zorn. „Sag das noch einmal!“ donnerte er.
„Großvater“, Irene schaltete sich sanft ein, kühl wie eine Gurke. „Bitte reg dich nicht auf. Deine Gesundheit ist das, was zählt.“
Sie wandte sich ihren Eltern zu und trug ihren besten „Umgang mit schwierigen Patienten“-Ausdruck. „Schaut, ich bin nicht hier, um über irgendeinen Tochterstatus zu streiten. Lasst uns einfach direkt zur Sache kommen: Ich bin völlig einverstanden damit, die Verlobung mit der Familie Vein zu beenden. Welche Unterlagen ihr auch braucht, lasst uns das erledigen. Ich habe bessere Dinge mit meiner Zeit anzufangen.“
Ihr lässiger Ton überraschte alle außer Joseph. Sie hatten erwartet, dass sie irgendeinen Kampf führen würde, vielleicht versuchen würde, die Verlobung mit Richard zu retten. Schließlich war sie damals verrückt nach ihm gewesen.
Richards Grinsen stockte leicht. Ihre völlige Gleichgültigkeit war nicht die Reaktion, die er erwartet hatte. Diese souveräne Selbstsicherheit, diese sachliche Ablehnung – das musste ein Schauspiel sein, oder? Schwer zu kriegen spielen, entschied er, sein Grinsen kehrte zurück. Gut gespielt, Liebes. Gut gespielt.
Er hatte keine Ahnung, wie falsch er lag.