




Kapitel 3
Ethans Perspektive
Ich stand am Rand des Trainingsgeländes von Shadow Fang, mein Blick auf die fernen Berge gerichtet. Der frühe Herbstwind trug den Duft von Kiefern und wilden Kräutern mit sich, aber meine Gedanken waren woanders, zurück in jener Nacht vor sechs Jahren.
Das Mountain View Resort. Ich erlaubte mir selten, die Kontrolle zu verlieren, aber diese Nacht war anders. Unser Rudel hatte gerade einen brutalen Angriff von wilden Wölfen erlitten, bei dem drei unserer jüngsten Mitglieder getötet wurden. Der Whiskey brannte beim Hinunterschlucken, jedes Glas half, die Schärfe des Versagens zu betäuben, die tiefer schnitt als jede körperliche Wunde. Als zukünftiger Alpha fühlte sich jeder Verlust persönlich an.
Meine Erinnerungen an diese Nacht waren fragmentiert, verzerrt durch Alkohol und Trauer. Ich erinnere mich daran, einen Flur entlang zu torkeln, die Welt schwankte unter meinen Füßen. Eine unverschlossene Tür. Und dann... sie.
Selbst jetzt, sechs Jahre später, ließ die Erinnerung an ihren Duft meinen Wolf unruhig werden. Es war anders als alles, was ich zuvor erlebt hatte – subtil und doch berauschend, wie Mondlicht in Form gegossen. Aber was mich am meisten beeindruckte, war das völlige Fehlen jeglicher Werwolf-Marker. Kein Rudelduft, keine Wolfsenergie. Nur diese geisterhafte, ätherische Präsenz, die etwas Tiefes in mir ansprach.
„Es ergibt keinen Sinn“, murmelte ich und fuhr mir mit der Hand durch die Haare. Als Alpha-Erbe war ich seit meiner Kindheit darauf trainiert worden, Rudelzugehörigkeiten allein durch den Duft zu identifizieren. Jeder Werwolf trug markante Merkmale – seine persönliche Signatur, überlagert von der kollektiven Identität seines Rudels. Aber in jener Nacht war es, als hätte ich einen Geist getroffen.
Die körperlichen Erinnerungen waren in meine Knochen eingebrannt – die Weichheit ihrer Haut, wie sie perfekt zu mir passte, als wären wir aus demselben Stein gehauen. Aber im grellen Licht des Morgens war ich wegen eines Notfalls im Rudelhaus weggerufen worden. In meiner Eile hatte ich mein silbernes Wolfszahn-Amulett zurückgelassen, in der Hoffnung, dass es mich zu ihr zurückführen würde.
Sechs Jahre der Suche, und nichts. Mein Beta David hatte diskrete Nachforschungen in den Werwolf-Territorien koordiniert, aber das Amulett schien zusammen mit seiner geheimnisvollen Besitzerin verschwunden zu sein. Währenddessen wurde meine Mutter – unsere derzeitige Luna – immer nachdrücklicher in Bezug auf meine Verpflichtungen gegenüber dem Rudel.
„Das Bündnis mit Silver Moon muss eingehalten werden“, erinnerte sie mich bei jeder Gelegenheit. „Olivia hat ihr Leben gegeben, um deins zu retten. Das Mindeste, was wir tun können, ist, unser Versprechen zu erfüllen.“
Olivia. Die Erinnerung an die ehemalige Luna von Silver Moon brachte immer noch eine Welle der Schuld mit sich. Sie war gestorben, um mich während dieses wilden Wolfsangriffs zu schützen, ohne zu zögern warf sie sich zwischen mich und das wilde Tier. Nach ihrem Opfer hatten unsere Rudel eine Vereinbarung getroffen – ich würde ihre Tochter Aria als meine Luna nehmen, wenn ich die Alpha-Position übernehme.
Eine praktische Lösung, die unsere Rudel ordentlich miteinander verband. Es gab nur ein Problem: Ich hatte diese Aria noch nie getroffen. Und wie konnte ich mich einem Fremden verpflichten, wenn jede Faser meines Wesens nach der Frau von jener Nacht verlangte?
„Alpha-Erbe.“ Davids Stimme durchbrach mein Grübeln. Ich drehte mich um und sah meinen Beta mit einer Dringlichkeit auf mich zukommen, die meinen Wolf aufmerksam machte.
„Was ist los?“
„Wir haben etwas über das Amulett herausgefunden.“ Er hielt mir eine manila Akte entgegen. „Es wurde vor drei Monaten an einen Antiquitätenladen verkauft. Wir haben den Verkäufer ausfindig gemacht.“
Meine Finger verkrampften sich um die Akte, Jahre frustrierter Suche kristallisierten sich in diesem Moment. Drinnen war ein körniges Überwachungsfoto und eine Adresse. Nach sechs Jahren ohne Ergebnisse endlich – eine echte Spur.
„Wer hat es verkauft?“ Meine Stimme war rauer als beabsichtigt und verriet die Emotionen, die ich normalerweise sorgfältig kontrollierte.
„Eine Frau namens Emma Laurent.“ Davids Ton blieb neutral, aber ich bemerkte ein leichtes Zögern. „Sie arbeitet derzeit als Verbindungsperson für das Ausbildungsprogramm der Werwolf-Allianz.“
Dasselbe Programm, auf das ich mich eigentlich konzentrieren sollte, anstatt Geistern aus meiner Vergangenheit nachzujagen. Aber ich war zu nah an Antworten, um jetzt aufzugeben.
„Ich werde sie finden,“ sagte ich, während ich bereits kalkulierte, wie ich dies angehen könnte, ohne zu viel preiszugeben. „Und David, behalte das für dich.“
Mein Beta nickte, verstand die unausgesprochene Botschaft. Wenn meine Mutter erfuhr, dass ich immer noch der geheimnisvollen Frau nachjagte, anstatt mich darauf vorzubereiten, unsere Vereinbarung mit dem Silver Moon-Rudel zu ehren...
Ich wandte mich wieder den Bergen zu, deren schneebedeckte Gipfel das Morgenlicht einfingen. Sechs Jahre der Suche, des Kämpfens gegen den unerklärlichen Drang zu einer Frau, die vielleicht gar nicht mehr existierte. Die Logik sagte, ich sollte es loslassen, mich auf meine Pflichten konzentrieren, diese Aria treffen und die Verpflichtung meines Rudels erfüllen.
Aber jedes Mal, wenn ich die Augen schloss, konnte ich sie immer noch fühlen – diesen perfekten Moment, als alles in meiner Welt im Einklang war, nur um mit dem Morgengrauen zu verschwinden. Und jetzt hatte ich endlich die Chance, sie wiederzufinden.
Die Akte in meinen Händen hielt mehr als nur Informationen. Sie hielt die Möglichkeit von Antworten, von Verständnis, warum sich diese Nacht so tief in meine Seele eingebrannt hatte. Und vielleicht, nur vielleicht, hielt sie den Schlüssel, um sie zu finden.
„Bald,“ flüsterte ich zu den Bergen, zu meinem unruhigen Wolf, zu der Erinnerung, die meine Träume heimsuchte. „Bald und endlich werde ich dich finden.“