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Kapitel 1: In dem sie kein Glück hatte

Geld ist da, wo das Glück ist, pflegte ihr Vater zu sagen.

Aurora hatte von beidem eine negative Menge.

„Oh, komm schon! Du kannst mich nicht einfach so feuern. Ich habe nichts falsch gemacht!“ Sie knirschte mit den Zähnen. Es war nicht ihre Schuld. Sie hatte diesem glatzköpfigen Kunden nicht gesagt, dass er ihr zuzwinkern sollte.

„Ich kann tun, was ich will. Ich bin der Chef“, krächzte die Stimme am Telefon kalt.

„Gut.“ Es hatte keinen Sinn, mit einem Dickkopf zu streiten. Aurora massierte die Spannung zwischen ihren engen Brauen. „Gib mir den Rest meines Gehalts. Ich gehe.“

Die Stimme lachte wie eine herzlose Hyäne. „Das war einer meiner VIPs. Sie gibt jedes Mal Tausende von Euro aus, wenn sie hierherkommt, und sie hat geschworen, nie wieder einen Fuß hierherzusetzen wegen der Schlampen, die ich eingestellt habe. Sobald sie spricht, verliere ich alle meine Kunden und meinen Ruf. Wie kannst du es wagen, nach deinem Gehalt zu fragen! Warum entschädigst du mich nicht für meinen Verlust?“

Nein, atmete sie leise, als die Angst sie überkam.

Es passiert wieder.

Wenn der Zug nicht verspätet gewesen wäre, wäre sie pünktlich zu ihrer Schicht gekommen. Diese faule Kuh Veronica hätte keinen Vorwand gehabt, früher zu gehen, und wäre noch da gewesen, als der Kunde mit seiner Frau hereinkam. Dann hätte er der vollbusigeren zugezwinkert und sie wäre gefeuert worden – nicht Aurora.

Argh! Warum hat sie es nicht kommen sehen? Die letzten Monate waren zu glatt verlaufen; das Leben war nie so nett zu ihr, und es wird es auch nie sein.

Erinnerungen an Flaschen, die an der Wand zerschellten, blutgetränkte Gliedmaßen und Gesichter, eine giftige, heisere Stimme, die Drohungen und gemeine Nachrichten ausspuckte, ergriffen ihren Geist. Ein Schauer lief ihr den Rücken hinunter.

Sie muss einen neuen Job finden, bevor ihr Tagesjob in ein paar Stunden beginnt, sonst wird am Ende des Monats nicht genug Geld da sein. Sie hatten versprochen, sich als Nächstes um die Gliedmaßen ihrer Familie zu kümmern.

„Um Gottes willen, Rory! Raus da. Nimm einfach mein verdammtes Geld, Mädchen.“

Der Schrei in ihrem Ohr brachte sie zurück auf die leere Straße.

Aurora rollte mit den Augen über den Bürgersteig, der mit dem dicksten Schmutz und den hässlichsten Rissen bedeckt war, genauso verlassen wie sie.

„Hör auf damit, oder ich ziehe aus.“ Ihre tiefe Stimme warnte.

Die süße Stimme in ihrem Ohr plapperte weiter wie eine Orchesterflöte, die einen EDM-Beat nachahmt.

„Das ist ein zwielichtiges Geschäft! Weißt du, was das ist? Menschenhandel. Aller Art. Drogen, Frauen…“

„Es ist nur Wahrsagerei, Trish.“

Sofort ging Trish eine Oktave höher.

„Du bist in der übelsten Gegend der Stadt, Schatz! Du wirst entführt und zur Sexsklavin gemacht, und ich werde nie wieder von dir hören. Willst du das?“

Aurora warf ihrem eigenen Spiegelbild in einem staubigen alten Fenster einen flachen Blick zu.

„Gib mir nicht dieses tote Fischgesicht.“

Das hübsche Gesicht erhellte sich sofort, als ein wissendes Grinsen auf ihren vollen, kirschroten Lippen erschien. „Du weißt, dass ich dich liebe.“

Ein besiegtes Seufzen voller hilfloser Sorge kam durch und Aurora milderte ihr Lächeln.

„Gut! Das ist das letzte Mal, dass ich auf deinen Hintern aufpasse.“

„Sicher“, kicherte Aurora leise. Sie werden das nächste Woche definitiv wieder durchmachen. Ihre beste Freundin hat das Gedächtnis eines Dory.

Trish stieß ein weiteres ihrer „Mir-ist-alles-egal“-Seufzer aus und kam schließlich auf den eigentlichen Zweck von Auroras Anruf zu sprechen.

„Du bist am richtigen Ort, soweit dieser verdammte Punkt es anzeigt.“

Eine einzelne Tür, bedeckt mit einem schweren, schwarzen Vorhang, starrte sie in unheimlicher Stille an.

Die rothaarige Schönheit zog ihre schmalen Brauen verwirrt zusammen. Das kann doch nicht sein, oder?

Trish jodelte jetzt in ihrem Ohr.

„Ich bin immer noch hier. Oh, schau! Madame Zoya winkt mir. Muss los! Bis später, Trish.“ Sie entfernte hastig das Telefon von ihrem Ohr und unterbrach Trishs nächstes Wort.

Ein Mix aus Erleichterung und Besorgnis entwich Auroras Lippen.

Das Einzige, was ihr zuwinkte, war die lose Ecke eines verlassenen „Räumungsverkauf“-Banners.

Die ignorierten, wie Geister umherwirbelnden Flyer auf der leeren Straße missachtend, ballte sie die Faust und trat auf den schwarzen Vorhang zu, der sie jetzt wie eine schwarze Katze anstarrte.

Ihr Glück war bereits unter Null; nichts konnte schlimmer sein.

Nach einem Kampf drang ihr zierlicher Körper durch das schwere Gewicht des Vorhangs und ein purpurrosa beleuchteter Raum empfing sie. Eine Welle künstlich kühler Luft überkam sie, und sie war umgeben von einem Aroma frischer Vanilleschoten und dem romantischen Zupfen einer Gitarre.

Irgendwie beruhigte sie der Anblick einer Kristallkugel.

„Miss Aurora?“ Eine kratzige Stimme fragte und ein Schatten trat ein, begleitet von einem Chor aus Muscheln, die aneinander klirrten.

Die langen, schönen Wimpern zuckten ängstlich, als der Schatten ins warme Licht trat und eine Frau in einem schweren, blumengemusterten Kleid enthüllte, die übermäßig mit allerlei Accessoires behängt war.

„Ja, das bin ich. Sind Sie Madame Zoya?“

„Setzen Sie sich, bitte.“ Glocken klingelten unaufhörlich, als die Frau sich zur Kristallkugel bewegte.

Aurora atmete leise ein, um ihre Nerven zu beruhigen, und schritt voran. Sie setzte sich vor die geheimnisvolle Dame und scannte schnell nach markanten Merkmalen, um sie sich einzuprägen, falls dies, wie von Trish vorhergesagt, ein Betrug war.

„Es ist kein Betrug, Miss.“ Die Stimme sprach mit einem russischen Akzent hinter dem roten durchscheinenden Schleier.

Aurora konnte ihre Überraschung nicht verbergen. „Wie haben Sie--?“

„Ich sage nicht, wie ich es weiß – ich weiß es einfach.“

Die scharfe Nase hob sich leicht. „Also sind Sie Madame Zoya?“

„Sie sind eingestellt.“

Warte, was? Ihre smaragdgrünen Augen blinkten heftig. „Was?“ Sie hat den Job? Einfach so? Das klang zu gut, um wahr zu sein. Ihr Glück kann sich nicht ändern. Lass dich nicht täuschen, Aurora. Es ist ein Trick. Atme tief ein und denke nach!

Die Frau schien ihre Gedanken gehört zu haben. „Sie haben mich gehört, ja.“ Sie senkte ihre Stimme. „Ich weiß, was ich tue. Die Frage ist: wissen Sie es?“

Aurora fühlte sich gekränkt. „Was meinen Sie?“ platzte sie heraus. Natürlich wusste sie, was sie tat – die Familienschulden bezahlen und sie in Sicherheit halten.

Die Frau strich mit ihrem stumpfroten Ärmel über die Kristallkugel. „Sie fangen heute Nacht an. Ja?“

„Ja.“ Aurora antwortete schnell, bevor ‚Madame Zoya‘ ihre Meinung änderte.

Ein weiterer Ärmel winkte ihr zur Entlassung.

Als Aurora wieder dem schwarzen Vorhang gegenüberstand, hielt sie inne und drehte sich um. „Sie haben mich nicht gefragt, ob ich hellsehen kann.“

Die Frau saß immer noch wie eine Wachsfigur auf ihrem Platz. Ihr leerer Blick verließ Aurora nie. „Sie wären nicht hier, wenn Sie es nicht wüssten. Ja?“

Aurora konnte fast ein Lächeln hinter dem roten Schleier spüren und ein Anflug von Schuldgefühl stach sie. Sie öffnete den Mund, um die Wahrheit zu sagen, als die Frau erneut sprach.

„Sie werden zu spät kommen, Miss.“

Auroras runde Augen weiteten sich in schockierter Erkenntnis. Sie überprüfte hastig ihr Telefon. Die Frau hat recht! Ihr Tagesjob beginnt in einer Stunde.

Sie stürmte durch die Vorhänge.


„Die neue Madame Zoya ist genauso außergewöhnlich wie die vorherige!“ rief eine Frau ihrer kopfnickenden Freundin zu.

„Wenn es sie nicht gäbe, würdest du immer noch denken, dass dein Mann eine Geliebte hat.“

„Ich werde Patrick jetzt anrufen. Um ihm für die Halskette zu danken!“

Aurora wartete, bis die Stimmen hinter dem schwarzen Vorhang in Stille verklangen, dann atmete sie lange aus. Sie warf einen Blick auf die Uhr. Es sind noch zwei Stunden bis zum nächsten Termin – sie wird eine kurze Pause machen und dann über Cold Reading lesen.

Wahrsagerei mag für sie ein Mythos sein, aber nicht Beziehungsratschläge. Sie hatte jede Menge Erfahrung, einschließlich der von Trish. Das würde ausreichen, um sie noch ein paar Wochen durchzuhalten, bis sie die Techniken richtig gelernt hatte.

Aurora überprüfte ihr Telefon. Immer noch nichts von ‚Madame Zoya‘. Sie hatte ihre Chefin seit jener Nacht der Einführung weder gesehen noch gehört. Mit einem Seufzer steckte Aurora das Telefon weg. Stille bedeutet dann wohl, dass alles in Ordnung ist.

Aber Aurora war immer noch beunruhigt. Madame Zoya hatte zu schnell zugestimmt. Was, wenn sie herausfand, dass ihre neue Angestellte eine Lügnerin ist, die nie an Wahrsagerei geglaubt hat, bis sie diesen Job annahm? Was, wenn sie einen besseren Kandidaten fand? Was, wenn ein Kunde sich hinter ihrem Rücken beschwerte?

Sie schloss fest die Augen und betete verzweifelt. Das sollte besser kein Betrug sein.

Hör auf damit, Aurora! Sie starrte ihr Spiegelbild an. Mach das einfach, zumindest bis zum Ende des Monats.

Mit einem tiefen Ein- und Ausatmen warf sie ihre üppigen, feurigen Locken in Trishs frecher Haltung zurück und lächelte sich selbst ermutigend zu.

Lass uns ein paar Schicksale vorhersagen! Sie drehte sich um und trat aus der Umkleidekabine.

Sie warf den Muschelvorhang zur Seite und schritt in den purpurrosa Raum, als ob sie ihn besäße, und der elektrisierendste Blick traf ihre Augen.

Sie erstarrte, als ein markantes Gesicht in ihr Blickfeld trat. Ihre Augen tranken seine dichten, maskulinen Brauen, perfekt geformten Lippen und starken, gemeißelten Kiefer ein.

Er war genau ihr Typ.

Aurora schluckte schwer.

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