




Kapitel 9
Die Morgendämmerung begrüßte die Insel mit einem klaren Himmel, eine Seltenheit in den Tagen vor dem Sturm. Es war, als hätte das Unwetter unser Heiligtum umgangen, vielleicht abgelenkt durch die mächtigen Leiter der Insel oder durch göttliches Eingreifen. Die Möglichkeit schwebte leise im Raum – eine wohlwollende Göttin, die ihren Schutz ausdehnte. Doch Zweifel nagten an mir; ich war eine Sünderin, lebte ein Leben voller Lügen. Die Göttin würde den Blitz auf mich regnen lassen.
Er patrouillierte über die Insel, vollständig gerüstet. Er mochte Logik, Kartografie, Mathematik. Das hier machte ihn wahrscheinlich wütend, ängstlich. Er mochte es nicht, Unrecht zu haben. Ich beobachtete ihn, während ich meine Aufgaben gewissenhaft erledigte, immer noch Nahrungsmittel für uns sammelte, falls der Sturm doch noch zuschlagen sollte, aber wir schienen vollkommen sicher. Am späten Nachmittag schienen die Wolken fast verschwunden. Ferne Nebel am Horizont knisterten vor Energie.
"Irina," seine Stimme durchbrach meine Konzentration. Ich war dabei, eine Auster zu öffnen, mein Haar mit einem improvisierten Bandana zurückgebunden. "Komm später zu mir. Ich bin misstrauisch gegenüber dem Himmel."
Ich war in besonders schlechter Stimmung. Eine Welle der Gereiztheit durchströmte mich, genährt von meinen Träumen – der Erinnerung an ihn, an den Wasserfall. Wie konnte ich eine Verliebtheit verbergen, wenn er entschlossen war, mich nicht in Ruhe zu lassen?
"Der Himmel ist in Ordnung," entgegnete ich scharf. Ich wollte Zitronensaft für die Austern, Limonade, gestohlenen Weißwein. Mein Himmelbett zurück auf Astraeus, die Kleider und Luxusgüter, die ich mein ganzes Leben lang abgelehnt hatte. Ich sehnte mich danach, seinem Rätsel, seinen launischen Stimmungen zu entfliehen. Ein verzweifeltes Verlangen, diesen Ort und seine Geheimnisse zu verlassen. "Wir sollten zum Schiff zurückkehren, in die Atmosphäre aufsteigen und den Fortschritt des Sturms beobachten. Wir müssen etwas tun."
Er wiederholte sich, er hasste es, sich zu wiederholen. "Ich traue dem Himmel nicht."
"Dann lass uns aufbrechen, den Verlauf des Sturms überwachen," beharrte ich, meine Stimme angespannt. Ich klang gereizt, weinerlich und jung. Aber aus irgendeinem Grund war es mir egal. Unerklärlicherweise waren meine Emotionen ausgebrochen, außer Kontrolle geraten.
"Die Entscheidung liegt nicht bei dir."
Ich übertrieb mein Stöhnen wie ein Teenager. Wie Irina, wenn sie nicht bekam, was sie wollte. "Es ist mir egal," jammerte ich fast, ich klang hysterisch an diesem Punkt. "Ich muss einfach diesen Ort verlassen," ich erstickte an einem Schluchzen, die Verzweiflung kratzte an meiner Kehle. "Ich muss hier weg und von dir fort."
Ich hätte weinen können. Ich hätte weinen können, weil er weicher wurde. Weinen, weil er genau verstand, was ich meinte. Das Tabu, die Unmoral und die Unmöglichkeit von allem. Es war wahrscheinlich das schlimmste Liebesgeständnis, das je in der Geschichte aufgezeichnet wurde. Die Zukunft lachte wahrscheinlich auch über mich.
Eine Anspannung überkam ihn, sein Verhalten änderte sich, das mitternachtsblaue Leuchten kehrte zurück. Er versuchte, mir zu helfen, etwas Würde zu bewahren, professionell und formell zu bleiben. Doch ich wusste, dass ich einer solchen Zurückhaltung nicht würdig war. Ich war keine Prinzessin, in keiner Weise königlich. Ich wollte nichts mehr, als dass er mich disziplinierte, mich für mein Jammern tadelte und mir die zehntausend Gründe nannte, warum ich ihn nicht mögen durfte. Warum ich zu jung für ihn war und warum wir niemals, niemals zusammen sein konnten. Aber diese Gründe kannten wir beide bereits auswendig, wir zählten sie auf, während wir in unseren getrennten Bereichen einschliefen.
"Komm heute Nacht in die Höhle," wiederholte er. Die Worte trugen das Gewicht von allem und nichts. Ich wollte in eine andere Höhle gehen und mir in den Kopf schießen.
Ich schaffte es nie in die Höhle. Stattdessen ließen mich die Tränen in den Schlaf sinken. In diesem Schlummer kehrte ich nach Astraeus zurück, meine prächtige Heimatwelt. Das sanfte Licht der Morgendämmerung strömte durch die großen Fenster meines Schlafzimmers im Sonnenhof und tauchte alles in ätherische Farben. Als ich mich aus den seidigen Decken erhob, lächelte ich, bereit, einen weiteren Tag im Schoß des Luxus zu beginnen.
Doch als ich mich streckte, zerbrach die Illusion. Das war nicht mein Zimmer; es war Irinas. Ich hatte vergessen, dass ich heute Morgen ihren Platz einnahm. Treffen mit dem Senat oder Rat, die Pflichten der Königlichkeit. Die großen, vergoldeten Türen schwangen auf, und ich setzte mich an den Schminktisch, in Erwartung der Ankunft der Zofen, die sich um mich kümmern würden. Es gab immer etwas Ermächtigendes daran, von ihnen verwöhnt zu werden, als wäre ich wirklich die Tochter der Königin, während Irina zu nichts reduziert wurde und ich endlich eine echte Familie hatte.
Zurückgelehnt auf dem prächtigen Bett, das mit aufwendigen Stickereien verziert war, wartete ich auf die sanfte Berührung der Hände. Aber als die Doppeltüren knarrend aufgingen, war es nicht die vertraute Präsenz der Zofen, die eintrat. Nein, es war das Imperium, gehüllt in graue Uniformen, die im krassen Gegensatz zur Pracht des Raumes standen. Angst ergriff mich, die Luft verdichtete sich mit einer unheilvollen Spannung.
Mein Herz raste, als sie näher kamen, ihre Augen funkelten vor Macht und Bosheit. Ich versuchte, meine Fassade der Gelassenheit zu wahren, aber meine Worte verrieten eine verborgene Verzweiflung. "Was führt euch in meine Gemächer?" fragte ich, meine Stimme zitterte leicht.
Ihre Lächeln waren beunruhigend, verbargen ihre Absichten hinter einem Schleier der Höflichkeit. Sie kamen näher, die Hände ausgestreckt, und ein Schauer lief mir über den Rücken. "Fasst mich nicht an!" rief ich, die Worte ein vergeblicher Versuch, sie abzuwehren. "Fasst mich nicht an!"
Ich schreckte auf, mein Körper war von kaltem Schweiß durchnässt, mein Hemd klebte an meiner Haut. Zittern durchfuhr meinen Körper, während die Überreste meines Albtraums sich weigerten zu verblassen. Etwas war schrecklich falsch. Etwas war schrecklich falsch mit mir.
Dann spürte ich es – eine klebrige Wärme, ein Fleck auf dem weißen Rock, den ich trug. Mein Blick fiel nach unten, und mein Herz sank. Blut. Es sammelte sich im Sand unter mir. Das Imperium hatte sogar dieses Heiligtum überfallen. Mich an einem Ort verletzt, den ich als sicher erachtet hatte. Meine Insel, mein Zufluchtsort, war entweiht worden.
Die Welt drehte sich, und mein Blick fixierte sich auf den Sturm, der vor mir tobte. Der Ozean, einst friedlich, wühlte nun in Dunkelheit und Wut. Über mir war der Himmel eine chaotische Leinwand aus konkurrierenden Grautönen und Purpurtönen. Der elektrische Sturm.
Ich stand auf den Beinen, konnte mich aber nicht daran erinnern, aufgestanden zu sein. Ich rannte, ohne mir meiner Bewegungen bewusst zu sein. Meine Bewegungen waren ein verschwommener Schleier, als ich vorwärts stolperte, getrieben von einer verzweifelten Dringlichkeit. Es war, als könnte ich die Vergangenheit, die Eindringlinge, den Sturm, der mein inneres Chaos widerspiegelte, überholen. Blitze zerrissen den Himmel, und ich schrie, der Klang ging im Wüten des Sturms verloren.
Ich rief nach Erlösung – von einer Mutter, die niemals kommen würde, von der Göttin Metztli, die über den Mond wachte. Das Chaos in mir spiegelte das Chaos draußen wider, und mein ganzes Wesen vibrierte vor Angst und Verzweiflung. Ich fiel, ein scharfer Schmerz in meinem Arm registrierte kaum, mein Geist war von der Verfolgung durch das Imperium und dem Feuer des Blitzes, das mich zu verschlingen drohte, verzehrt.
Rennen, rennen, rennen. Der Regen klebte meine Kleidung an meine Haut, aber ich fühlte nichts mehr. Ich war eine besessene Frau, getrieben von einem Überlebensinstinkt. Blitze spalteten den Himmel und erhellten meinen Weg, aber er war auch da – eine Gestalt in der Ferne, eine ferne Erinnerung oder vielleicht eine weitere Täuschung.
"Irina!" rief er. Ich war nicht Irina, sie jagten Irina. Ich rannte vor ihm davon, als wäre er ein Rudel Wölfe. Ich rannte zum Ufer, die Wellen schlugen gegen den Sand, ein Tanz des purpurnen Todes. Doch dann, als ob Zeus selbst gekommen wäre, um mich für meine Sünden zu bestrafen, brach ein Blitz unsere Zwillingspalmen vor mir.
"IRINA!"
"Ruf mich nicht so!" Meine Stimme klang fremd in meinen Ohren, die Worte eine chaotische Symphonie aus Verzweiflung und Hysterie. Das lange goldbraune Haar um mich herum erhob sich. Ich schwebte, Zeus und Metztli hatten etwas ausgehandelt, irgendeine kosmische Kraft. Ich war der Erlösung würdig.
Mit einer Kraft jenseits des Verständnisses prallte ich gegen ihn, der Aufprall zerschmetterte mich weiter. Blut strömte sofort aus meiner Nase, ich hatte sie an seiner Rüstung gebrochen. Der weiß-silberne Geist. Ich brach in seinen Armen zusammen, zerbrach in Millionen Stücke auf dem Boden, jede Emotion floss aus mir heraus. "Das Imperium, sie sind hier. Das B-Blut, zwischen meinen Beinen. Es ist wie damals."
Sein Blick wanderte von dem Blut an meiner Nase zu dem Blut zwischen meinen Beinen. "Sie haben mich gefunden," schluchzte ich, das Geständnis wurde mir von den Lippen gerissen. "Sie haben mich vergewaltigt, während ich schlief."
"Irina, hör mir zu." Seine Stimme war ein Anker, sein Griff fest, als er mich schüttelte. "HÖR MIR ZU!" Als meine Hysterie seinem Befehl widerstand, schüttelte er mich stärker, verzweifelt. "Wir müssen zurück in die Höhle, wir müssen – verdammt!"
Die Symphonie des Sturms verschmolz mit dem Kakophonie meiner Schreie, und die Welt wirbelte in einem Strudel aus Terror und Chaos. In diesem Herzschlag ergriff er die Kontrolle, drückte mich mit seiner unnachgiebigen Stärke nieder, hielt mich mit einer Wildheit, die keine Grenzen kannte. Mein Haar, eine Verlängerung meines Aufruhrs, streckte sich gen Himmel und umhüllte seinen Helm in einer seltsamen, ätherischen Umarmung.
In diesem Moment schien die Zeit langsamer zu vergehen. Mein Herz schlug im Einklang mit der drohenden Gefahr, der Amethystblitz raste zur Erde, direkt auf die Rüstung zielend, die mich schützte. Panik ergriff mich, und meine Protestschreie wurden zu einem verzweifelten Flehen. "Nein! Nein!"
Er hielt mich gefangen, sein Griff an meinen Armen unnachgiebig, erdete mich, während die Welt um uns herum bebte. Der Krieger, der Leiter, absorbierte den vollen Aufprall auf seinem Rücken. Blitze zuckten, und die Welt spaltete sich in zwei Hälften, der Aufprall sandte Schockwellen durch die Erde. Eine blendende Eruption von Licht verschlang uns. Er mag geschrien haben, ich hätte es nicht gehört. Die Welt, wie wir sie kannten, explodierte.
Der Stoff der Realität schien zu zerbrechen, eine katastrophale Explosion, die die Welt neu formte. Als das Chaos nachließ, drehte sich mein Kopf, und ich kämpfte darum, festen Boden zu finden. Zwei Gestalten materialisierten sich vor mir, zwei Retter, beide so real und überirdisch wie der Sturm selbst. Mein Haar legte sich, widersetzte sich nicht länger der Schwerkraft, doch ein Gefühl der Schwerelosigkeit umhüllte mich, als hätte ich jede Verbindung zur Erde verloren.
Ich versuchte, mich zu bewegen, aber meine Glieder verrieten mich, und ich stürzte zu Boden. Meine vergeblichen Versuche zu rennen wurden von seinen Armen aufgefangen, ein Zufluchtsort in diesem verwirrenden Sturm. Er hielt mich fest, rannte durch den regennassen Wald mit verzweifelter Dringlichkeit. Seine Iridiumrüstung, einst ein Symbol der Stärke, wurde nun in hektischen Flüchen abgelegt, verstreut auf dem Waldboden wie unbedeutende Überreste.
Ein Schrei entfuhr mir, als ein Blitz auf seine abgelegte Schulterplatte traf. Doch es war ein kalkuliertes Opfer, eine Ablenkung von der Katastrophe, die hätte sein können. Der Blitz tanzte, der Sturm tobte, und Stück für Stück fiel seine Rüstung, wie ein Opfer an die Götter des Chaos. Brustplatte, Armstulpen – alle ergaben sich dem Zorn des Sturms.
Endlich tauchte die Höhle vor uns auf, ein Zufluchtsort gegen die Wut des Sturms. Wir stolperten hinein, nur Momente bevor ein weiterer Blitz einschlug, die Naturgewalt selbst drohte, uns zu verschlingen. Als wir auf den Höhlenboden fielen, kämpfte ich darum, zu atmen, meine Brust hob sich schwer unter dem Gewicht meiner Angst. Er musste sich genauso gefühlt haben, denn er brach auf der anderen Seite der Höhle zusammen und erbrach sich.
Die Welt um uns herum schien verzerrt, eine Realität zu surreal, um sie zu begreifen. Ich sehnte mich danach, zu weinen, die Angst und Verwirrung, die mich verzehrten, herauszulassen, aber ich blieb in dieser veränderten Dimension treiben. Es war unmöglich, unvorstellbar, dass ein solches Ereignis stattgefunden hatte.