




Kapitel 1: Die Tragödie schlägt zu
Als die kalte Winterluft durch die stille Bibliothek strömt und die Seiten einiger offener Bücher rascheln, schaudert Maryanne und ihr Körper spannt sich an. Sie drückt den Startknopf auf ihrem Schlüsselanhänger, um sicherzustellen, dass ihr Auto läuft. Sie schüttelt die Kälte ab, löst ihr zusammengebundenes Haar aus dem dunklen Haargummi und lässt ihre blonden Locken um ihre Schultern fallen. Nachdem sie ihre Hände durch ihr Haar gefahren hat, setzt sie eine schwarze Mütze auf und zieht ihre Winterjacke an.
Maryanne seufzt und fürchtet den Weg von der Tür zu ihrem warmen Auto. Nachdem sie den Riemen ihrer Handtasche um ihre Schultern gelegt und versucht hat, ihre Autoschlüssel mit ihren behandschuhten Händen aufzuheben, geht sie von ihrem Schreibtisch weg.
„Schönen Abend noch“, ruft Jessica ihr zu, während ihre Brille ihre dünne Nase hinunterrutscht, als sie von ihrer Papierarbeit aufblickt.
„Dir auch. Bleib nicht zu lange.“ Maryanne lächelt sanft, bevor sie sich gegen die Kälte des Januars wappnet.
Sie rennt fast zu ihrem warmen Toyota und stößt ein Stöhnen aus, sobald sie aus dem eisigen Wunderland heraus ist. Sie schüttelt ihren ganzen Körper, um sich aufzuwärmen.
„Ich hasse den Winter“, murmelt sie und zieht ihre Handschuhe aus, um ihr Handy aus der Tasche zu holen. Sie hat drei verpasste Anrufe.
„Das ist seltsam.“
Maryanne stellt ihr Handy nur während der Arbeit auf lautlos, aber sie bekommt selten Anrufe, schon gar nicht drei. Als sie die Mailbox öffnet, erscheint ein weiterer Anruf von derselben Nummer.
„Oh“, sie schiebt den Antwortknopf, um den Anruf anzunehmen, und bringt das kalte Telefon an ihr Ohr. „Hallo?“
„Maryanne Johnson? Hier ist Edward. Ich bin vom Edenville Krankenhaus.“ Die sanfte Stimme am anderen Ende der Leitung zittert, und Maryanne spürt die Angst, die durch ihren eigenen Körper widerhallt.
„Ist alles in Ordnung?“
Ein großer Stein bildet sich in ihrem Magen und wächst weiter. Sie schluckt den Kloß in ihrem Hals hinunter, während ihr Herz schneller schlägt und ihre Gedanken rasen.
Wer könnte das sein? Wen kennt sie überhaupt in der Nähe? Die meisten ihrer Familie sind am anderen Ende des Landes.
„Es tut mir sehr leid. Ich rufe an, weil Sie als Notfallkontakt für Miss Lucy Morgan eingetragen sind.“
Maryannes ganzer Körper dreht sich um, sie fühlt sich wie auf den Kopf gestellt. Ihre Sicht verschwimmt, als ihr Verstand abschaltet.
„Miss Lucy war in einen Frontalzusammenstoß mit einem betrunkenen Fahrer verwickelt. Sie und ihr Beifahrer waren sofort tot“, fährt die Stimme, Edward, feierlich fort.
Nein, nein. „Das kann nicht sein“, wimmert Maryanne. Tränen strömen über ihre Wangen, aber sie beißt sich auf die Lippe, um sich zu beherrschen.
Ihr ganzer Körper vibriert vor Trauer, die ihre Brust durchdringt. Ein Schluchzen bricht durch ihre Verteidigung. Ihre einzige Freundin. Die Einzige, die sie versteht. Sie ist weg. Was soll sie jetzt tun?
Ein Gedanke schießt ihr durch den Kopf, selbst als ihr Auto ausgeht und die kalte Winterluft an ihrer Seele nagt: „Wo ist Riley?“
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Maryanne hält zum hundertsten Mal an diesem Tag die Tränen zurück und umklammert das Lenkrad. Sie starrt auf den Wohnkomplex vor ihr. Sie ist sich nicht sicher, ob sie bereit ist, in deren Zuhause zu gehen. Ihren Raum. Da weder sie noch Lucy viel Familie in der Nähe haben, wurde sie von Lucys Mutter gebeten, all ihre Sachen zu verpacken und zu ihr zu schicken. Ihre Mutter wollte die Schwelle ihrer Wohnung nicht überschreiten.
Nun, Maryanne auch nicht, aber sie konnte der trauernden Mutter nicht nein sagen.
Bevor sie wegfährt, greift sie nach ihrem Handy auf dem Beifahrersitz, das heftig zu vibrieren beginnt. Sie blinzelt die Tränen weg und liest den Namen auf dem Bildschirm, bevor sie antwortet.
„Hallo?“
Die Stimme, die durch das Telefon hallt, ist sanft und freundlich: „Guten Morgen, hier ist Dianne vom Sozialdienst.“
„Oh, guten Morgen, wie geht es Ihnen?“
„Mir geht es gut, wie geht es Ihnen?“
„Oh, ich halte mich,“, sie schluckt den Kloß in ihrem Hals hinunter.
Dianne fährt fort, aber ihre Stimme ist jetzt sanfter, vorsichtiger. „Ich wollte nur anrufen, um zu sehen, ob Sie heute Nachmittag Zeit haben, vorbeizukommen und einige Papiere zu unterschreiben? Es gibt auch einige Informationen, die wir durchgehen müssen.“
Maryannes Herz setzt einen Schlag aus. Stimmt, sie wird heute für Riley unterschreiben. Hoffentlich kann sie sie mit nach Hause nehmen. „Ja, natürlich. Ich habe heute frei. Ich kann vorbeikommen.“
„Perfekt. Es gibt einige Probleme, die wir klären müssen“, sagt Dianne.
„Welche Probleme?“ Was könnte in dieser Situation ein Problem sein?
„Ihr Name ist nicht der einzige im Testament.“
Was? „Wirklich? Wer sonst steht noch drin?“
„Greg hat geschrieben, dass er wollte, dass sein Cousin sich um Riley kümmert.“
„Wer?“
Moment, hatte Greg einen Cousin in der Nähe? Ja, das hatte er. Lucy hat ihn mal erwähnt. Wie war sein Name?
„Max Ryder, der Cousin mütterlicherseits von Greg Ryder.“
Maryannes Herz sinkt, als Erinnerungen ihren Geist füllen.
Max Ryder.
Der milliardenschwere Cousin, der ein expandierendes Unternehmen besitzt und in einem teuren Penthouse in der Stadt lebt. Der Mann, mit dem Maryanne vor fünf Jahren kurz ausgegangen ist. Der Mann, der ihr das Herz gebrochen hat. Er ist derjenige, den Greg ausgewählt hat, um sich um Riley zu kümmern?