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Kapitel 3: Der Wille der Göttin

Die Dunkelheit wich zurück, als Laura ihre Augen öffnete. Es gab keinen Schmerz, ihr Herz war ruhig, und sie fror nicht. Sie hätte tot sein sollen. Sie war tot gewesen. Sie erinnerte sich an die zerklüfteten Felsen und den reißenden Fluss. Der scharfe Schmerz in ihrem Nacken war das Letzte, an das sie sich erinnerte, bevor die Dunkelheit sie ergriff. Sie erinnerte sich an das wunderschöne Paradies und das Gesicht der Göttin, die sie anlächelte.

Wo war sie jetzt?

Der Wald war still und wunderschön. Der Himmel war dunkel und voller Sterne und Sternbilder, die sie noch nie gesehen hatte, die ihr zuzwinkerten. Leuchtend blaue Vögel landeten auf dem Gras und zwitscherten, als sie sich aufsetzte. Fische schwammen im klaren Wasser des nahegelegenen Sees, bewegten sich friedlich durch die sanften Strömungen, während der Wind den Duft blühender Nachtblumen trug. Ein kleiner Bach schlängelte sich durch die Erde, bis er den nahegelegenen See erreichte, und Alice lag auf ihrem Schoß, scheinbar schlafend.

Laura strich mit zitternder Hand über Alices strahlend weißes Fell und fand es warm. Sie hatte ihre Wölfin noch nie auf diese Weise berühren können.

„Bin ich im Himmel?“

„Nein,“ rief eine sanfte Stimme. „Du bist in meinem Reich.“

Laura schnappte nach Luft. Die Frau war wunderschön, als sie den Bach überquerte, über die Wasseroberfläche schwebend wie ein Geist. Lange, silberne Locken spiralten um ihre Schultern, und ihre Augen waren so schwarz wie der Nachthimmel.

Als sie näher kam, erkannte Laura die schimmernden Phasen des Mondes, die an den Saum ihres Rocks gestickt waren. Sie zitterte und erkannte, wer die Frau sein musste: die Mondgöttin.

Sie war so schockiert, dass sie nicht sprechen konnte. Dann brach ihre Verzweiflung hervor und überflutete sie, als die Frau neben ihr kniete und sie schluchzte.

„I-Ich--Ich nur--“

Die Worte wollten nicht kommen, erstickten an ihrem Kummer, aber die Göttin, immer liebevoll und barmherzig, zog sie einfach an sich und strich ihr übers Haar, ließ Laura in ihren Armen weinen.

Sie hatte nie ihren Gefährten getroffen noch die Liebe ihrer Familie oder irgendjemandes gefühlt. Wie konnte sie so hart gearbeitet haben, nur um verlassen und verachtet zu werden für alles, was sie getan hatte? Wie konnte sie so jung nach einem so schmerzhaften Leben gestorben sein?

Was hatte sie getan, um ein solches Schicksal zu verdienen?

„Ich sollte nie Luna sein, aber ich habe es versucht... Ich habe es so sehr versucht, Göttin. B-Bitte, ich...“

„Ich habe dich gesehen, Laura, mein kostbares Kind...“ Ihre Stimme war so warm und tröstlich, dass Laura sich noch enger an sie kuschelte, während Alice zufrieden knurrte. „Du warst immer für ein großes Schicksal bestimmt. Der weiße Wolf hat immer über das Werwolfreich gewacht.“

„Aber... Aber ich...“

Die Göttin zog sich zurück und wischte ihre Tränen, umfasste ihr Gesicht mit ihren warmen Händen und traf ihren Blick.

„Du bist einfach einem Pfad gefolgt, der nicht für dich bestimmt war. Du bist die wahre Luna.“

Laura schüttelte den Kopf, „G-Göttin, ich verstehe nicht.“

„Du wirst es,“ sagte sie mit einem sanften Lächeln. „Deine Mission ist nicht abgeschlossen, junge Frau. Ich sende dich zurück, wo du hingehörst, damit du dein Schicksal erfüllen kannst.“

Laura zuckte zusammen, „Ich... Göttin, ich...“

Sie runzelte die Stirn, „Du möchtest nicht zurückkehren?“

Sie wusste es nicht. Einerseits wollte sie dem Königreich und den letzten drei Jahren entfliehen. Was schuldete sie dem Königreich nach allem, was sie gegeben hatte? Warum sollte sie jemals ein so schönes Paradies verlassen wollen?

Aber was war mit ihrem Gefährten? Sie biss sich besorgt auf die Lippe. Würde er die Welt nach ihr durchsuchen, nur um vor Verzweiflung zu sterben? Wenn dies das Jenseits war, wie könnte sie ihm gegenübertreten, wenn seine Zeit gekommen war, wissend, dass sie die Chance abgelehnt hatte, in diesem Leben mit ihm zusammen zu sein?

Sie wollte leben. Sie wollte all das Glück, das ihr bestimmt war, aber sie wollte nicht den Schmerz des Lebens, das sie hinter sich gelassen hatte.

„Du fürchtest, diesen Weg noch einmal zu gehen,“ sagte die Göttin, ihre Stimme ein wenig amüsiert. „Du fürchtest, dein wahres Selbst wieder zu verbergen und den Erwartungen anderer gerecht zu werden.“

Laura nickte, „Ich... werde niemals gut genug sein, wie ich bin.“

Die Göttin lachte, „Was könnten diese gierigen Adligen über deinen Zweck wissen? Was es bedeutet, mein geliebtes Kind zu sein? Du musstest immer nur du selbst sein. Luna ist ein Weg, den nur du bestimmen kannst, nicht einer, der von anderen diktiert wird.“

Laura war schockiert.

„Fürchte dich nicht, Kleine.“ Sie lächelte und zog sie und Alice in ihre Arme, bedeckte ihre Augen mit ihren Händen. „Du wirst es verstehen.“

Laura wollte protestieren, aber das Paradies verschwand, als sie zurück in die Dunkelheit gestürzt wurde.


Laura öffnete wieder die Augen, doch sie war nicht dort, wo sie erwartet hatte. Vielleicht träumte sie davon, im Gras eines fremden Waldes zu liegen. Ihr Brustkorb pochte vor Schmerz, als sie sich mühsam aufrichtete. Etwas Nasses und Klebriges zog ihren Blick auf sich. Es war schwer zu erkennen, aber der perlmuttartige Glanz der Beerenhaut machte sie sicher. Es waren Sonnenbeeren, eines der tödlichsten Gifte, die den Werwölfen bekannt waren. Sie warf sie weg, schmierte das, was sie nicht abschütteln konnte, auf das Gras und rollte sich weg.

Sie sah sich um, suchte nach einer Möglichkeit, den Rest des Giftes von ihrer Hand zu waschen, und entdeckte eine kleine Pfütze in der Nähe. Zähneknirschend zog sie ihren Körper dorthin und bevor sie ihre Hand hineintauchen konnte, schnappte sie nach Luft.

Das Gesicht, das sich im Wasser spiegelte, war ihr nicht vertraut. Die junge Frau war hübsch, aber jünger als Laura. Sie runzelte die Stirn und bewegte ihre Finger. Es waren nicht ihre Hände.

Was geschah hier? Wer war sie jetzt?

Zögernd suchte sie nach Alice und fand sie dort, sich streckend, als käme sie aus einem langen Schlaf.

Alice knurrte: Nun, sie ist hübsch.

Laura schnaubte und wusch ihre Hand so gut es ging. Sie fühlte sich immer noch zittrig, aber die Zittern ließen langsam nach, als das Gift ihren neuen Körper zu verlassen schien. Warum war sie in den Körper dieses Mädchens geschickt worden und nicht in ihren eigenen?

Du glaubst, unser Körper hat den Sturz in den Canyon überlebt? Laura verzog das Gesicht.

Alice hatte einen Punkt.

Die arme Seele des Mädchens ist weg. Vielleicht war sie am Verhungern und wusste nicht, dass sie giftig waren.

Trauer durchzog ihr Herz. So jung zu sterben aus Mangel an Nahrung war eine solche Tragödie. Sie sprach ein Gebet für die Seele der jungen Frau und hoffte, dass sie das Paradies im Reich der Göttin genoss.

„Laura? Laura, wo bist du?“

Sie blickte zurück und runzelte die Stirn bei dem Klang. Es klang nicht ganz richtig.

„Laurel!“

Sie war fast amüsiert. Zumindest war der Name des Mädchens ziemlich ähnlich zu ihrem eigenen. Das würde es leichter machen, sich daran zu erinnern.

Eine Frau mit weißem Haar, die sich nach vorne beugte und einen gebeugten Rücken hatte, ging durch das Gebüsch und sah sie an.

Sorge malte sich in ihren Zügen, als sie seufzte: „Oh Laurel, ich habe nach dir gesucht! Was machst du hier?“

„Ich... ich habe mich ein wenig verirrt.“

„Ehrlich“, tadelte die Frau mit einem warmen und fast mütterlichen Seufzer. „Nun, komm mit, Kind.“

Laura – nein, Laurel stand auf und folgte der alten Frau aus dem Wald. Langsam wurden die Geräusche eines kleinen Dorfes lauter.

Die meisten Menschen auf den Straßen waren Frauen. Einige von ihnen waren älter, und es gab ein paar Kinder, aber sie sah keinen einzigen Mann im Erwachsenenalter.

„Wo sind all die Männer?“

Die alte Frau sah zu ihr auf: „Geht es dir gut, Liebes?“

Laurel verzog das Gesicht: „Ich... habe vielleicht meinen Kopf gestoßen, als ich gestolpert bin.“

„Sie verteidigen das Königreich gegen die Vampire, Kind. Mit deinem Vater, natürlich.“

Laurel nickte und folgte der älteren Frau. Das Dorf musste das einer kleinen Sippe an der Grenze des Werwolf-Königreichs sein. Laurel konnte nicht genau sagen, welche, aber sie war sicher, dass sie es mit der Zeit herausfinden würde.

„Gehst du nicht nach Hause?“

Sie lächelte, versuchte sich eine Ausrede einfallen zu lassen, bevor sie den Kopf schüttelte: „Nein, ich wollte dir etwas geben. Könntest du mit mir kommen?“

Die alte Frau lächelte: „Ich liebe ein gutes Geschenk. Natürlich, Liebes!“

Sie ließ einen kleinen Seufzer der Erleichterung heraus. Sie müsste nicht herausfinden, wie sie Informationen über ihre Lebenssituation bekommen könnte, ohne zu verraten, dass sie nicht Laurel war. Bisher lief alles gut. Mit etwas Glück würde die alte Frau alle anderen Informationen preisgeben, die sie wissen musste.

Wer war ihr Vater?

Wann würde er zurückkommen? Und ihre Mutter?

Hatte Laurel Geschwister?

Die alte Frau ging vor ihr her, bis sie sich einem kleinen Holzhaus näherten. Es war nicht luxuriös, aber es war heimelig, gemütlich auf eine Weise, die sie nie gedacht hätte, dass ein Haus sein könnte. Obwohl sie etwas misstrauisch war, das Leben aufzunehmen, das Laurel hinterlassen hatte, atmete sie tief durch und erinnerte sich daran, dass sie ihrem elenden Tod entkommen war und die Göttin ihr eine zweite Chance gegeben hatte.

Sie würde ihr neues Leben hier beginnen.

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