




KAPITEL EINS
Kapitel eins.
Avyanne klammerte sich an ihren Hals, während sie auf die große blonde Frau in Leder zuschwankte.
„Du abscheuliches Biest!“ keuchte sie. Es kam gebrochen, aber bösartig heraus, ihre Augen wechselten von senfgelb zu grün, als sie versuchte, ihren Wolf zu beschwören, aber scheiterte. Ihr Blick war verschwommen, ihr Herzschlag unregelmäßig und ihre Beine zitterten, als sie sich der Frau näherte, die ein bösartiges Lächeln auf ihrem Gesicht trug. Nur ein Gedanke beherrschte ihren Geist: Mord. Sie wollte dieses Lächeln von ihrem abscheulichen Gesicht reißen. Sie griff nach dem Hals der Frau, fast hätte sie ihn gepackt, aber es war zu spät, ihre wackeligen Beine gaben genau in diesem Moment nach. Gerade als ihre Hände den Hals der Frau umschlossen, fiel sie im letzten Moment auf die Knie. Die Frau starrte mit einem rachsüchtigen Lächeln auf die kniende Avyanne hinab, ihre Augen tanzten, während sie zusah, wie das Gift seine Wirkung entfaltete. Etwas wie Blutdurst funkelte in ihren Augen.
„Nancy, du Monster!“ schrie Avyanne, immer noch ihren Hals mit einer Hand umklammernd. Es wurde mit jeder Sekunde schwieriger zu atmen. Ihr Körper zitterte vor Schmerz. Eisenhut, dachte sie. Sie war mit Eisenhut vergiftet worden. Ihre Adern brannten unter ihrer Haut. Sie konnte fühlen, wie ihre Organe von innen heraus schrumpften… ihr Wolf heulte vor Schmerz, was ein schreckliches Klingeln in ihren Ohren verursachte. Sie war von Nancy vergiftet worden.
„Ouu! Feurig. Ich muss sagen, ich mag diesen Anblick von dir, Avyanne, wie du vor mir kniest, es ist fast so, als würdest du mir Tribut zollen. Wie sich die Dinge doch gewendet haben.“
Avyanne spuckte sie an. Es war das Einzige, was sie tun konnte, da ihre Hände zu schwer geworden waren, um sie zu bewegen. Sie wollte ihren widerlichen Mund, der es wagte, mit ihr zu sprechen, zum Schweigen bringen und ihre Augen herausreißen, die es wagten, auf sie herabzusehen. Für wen hielt sie sich?
„Tsk, tsk, tsk… das würde ich nicht tun, wenn ich du wäre, Avy“, schmunzelte sie.
„Du hast weniger als zwanzig Sekunden, bis du vollständig gelähmt bist. Ich schlage vor, du nutzt die verbleibende Zeit zum Beten, auch wenn es dir nichts nützen wird, aber ich bin sicher, du würdest lieber einen schmerzlosen Tod sterben, oder?“
„Drohst du mir?“ brachte Avyanne heraus.
„Dir drohen?“ Nancy schnaubte. „Meine Liebe, ich muss dir nicht drohen, dein Leben liegt bereits in meinen Händen.“
Avyannes Blut kochte in ihren Adern. Sie hasste, wie hilflos sie war. Sie wollte die Frau in Stücke reißen, aber konnte es nicht, sie war zu schwach, um auch nur einen einzigen Muskel zu bewegen.
„Du wirst diesen Tag bereuen. Das verspreche ich dir!“
„Die Toten sollten keine Versprechen machen, meine Liebe“, erwiderte Nancy und lachte über Lunas gequälten Ausdruck.
Avyanne starrte sie mit der letzten Kraft, die sie hatte, an. Wenn Blicke töten könnten, wäre Nancy sechs Fuß unter der Erde, mit Maden, die an ihrem Fleisch nagten, so wie sie sie ansah.
„Ach, munter dich auf, Liebes, deine Augen können mir nichts anhaben. Nun, irgendwelche letzten Worte, Eure Gnaden?“ Nancy machte eine Show daraus, sich vor Avyanne zu verbeugen, als ob sie verspotten wollte, wie machtlos sie geworden war. Eine mächtige Königin, die jetzt zu nichts anderem als einem Leichnam unter ihr reduziert wurde. Sie sah sie durch lange blonde Wimpern an, ein schiefes Lächeln auf ihrem Gesicht.
Sie richtete sich wieder auf, ihr dunkles Lächeln blieb bestehen, und begann, mit ihren langen, scharfen, spitzen Krallen zu spielen.
Avyanne sagte nichts, sie starrte nur.
„Was ist los, Luna, hat dir die Katze die Zunge verschlagen?“ sagte sie und trat näher an Avyanne heran. Ihre Augen funkelten vor Unheil.
Avyanne starrte Nancy mit all dem Hass an, den ihr schwacher Körper aufbringen konnte. Sie hatte Worte für sie, aber es wären die letzten Worte, die sie hören würde, bevor alles, was sie ihr gestohlen hatte, beginnen würde, gegen sie zu kämpfen.
„Ich schwöre bei meinem toten Körper“, hustete sie, während Speichel aus ihren Lippen tropfte. „Ich werde dein ganzes Dasein heimsuchen. Du wirst niemals Frieden finden, solange ich in der Erinnerung aller hier bleibe!“ Sie hustete heftig. Ihre Augen wurden trotz der Tatsache, dass sie mit Eisenhut betäubt war und ihren Wolf nicht herbeirufen konnte, zu einem durchdringenden Gelb. Sie fiel mit einem dumpfen Geräusch zu Boden, ihr Körper zu schwach, um sie aufrecht zu halten.
Während sie hilflos auf dem Boden ihres Thronsaals lag, quälten sie Gedanken darüber, wie sie hierher gekommen war.
Avyanne konnte nicht glauben, dass, obwohl sie ihrem Mann geholfen hatte, Erfolg zu haben und ihm sogar die Autorität über das Königreich Wales gegeben hatte, das ihr gehörte, sie dennoch von ihm verraten wurde. Sie schätzte, was sie zusammen hatten, aber er war bereit, alles zu riskieren, um eine niedere Omega zu unterhalten, die sich als Teufel herausstellte. Sie wollte schreien, wie töricht sie gewesen war, Ericson, ihrem Ehemann, zu vertrauen.
Sie hatte nie erwartet, in tausend Jahren von dem Mann verraten zu werden, den sie so sehr liebte. Das schöne Leben, von dem sie dachte, sie hätte es, war nichts als eine Illusion, eine Lüge. Es wurde so leicht von einer schwachen Omega zerstört.
Ihr Leben gehörte ihr nicht mehr, sobald sie den Betrüger in ihrem Rudel unterhielt, und nicht einmal Ericson konnte sehen, was sie sah.
Ein Blitz, als Nancy zum ersten Mal in den Palast kam – geschlagen und nackt – überfiel ihre Vision. Sie war töricht gewesen, sie in ihr Rudel aufzunehmen, selbst als ihre Instinkte dagegen kämpften. Sie hatte es nicht übers Herz gebracht, eine Frau leiden zu lassen, wenn sie Zuflucht bieten konnte. Das war ihr Fehler. Sie hätte sie für tot liegen lassen sollen, aber jetzt war es zu spät, jetzt war sie diejenige, die für tot liegen gelassen wurde.
„Viele harte Worte von einer Leiche“, spottete Nancy über sie. Eine bedrohliche Aura ging von ihr aus, sie sah nichts aus wie die zerlumpte, unschuldige Frau, die ihr Mann nach Hause gebracht hatte. Avyanne fragte sich, warum sie es nicht schon früher bemerkt hatte. Sie war so damit beschäftigt, eine gute Königin für ihr Land zu sein, dass sie nicht bemerkte, dass sie den Teufel in ihr Haus eingeladen hatte, der nichts als böse Absichten für sie hatte. Sie hatte ihre wahren Absichten verborgen und sich als hilflose Frau ausgegeben, während sie gegen sie plante.
Nancys Grinsen wurde breiter, als sie zusah, wie Avyanne darum kämpfte, zu atmen. Ihre Pläne hatten sich endlich erfüllt. Lunas Worte bedeuteten ihr nichts. Monate der Planung, des Wartens und des Erduldens der Befehle dieser Frau hatten sie schließlich zum Sieg geführt. Der Meister würde stolz sein.
„Ich mag diejenige sein, die leidet, aber deine Tage sind gezählt, Nancy!“
Nancy lachte höhnisch.
„Von wem, von dir? … Liebes, bitte bring mich nicht zum Lachen. Du wirst hier sterben und bald genug werden deine Untertanen dich vergessen. Es ist nichts Persönliches.“
Nancy spreizte ihre Finger mit bösen Absichten in ihren Augen und trat näher an die Stelle, wo Avyanne gelähmt und hilflos lag. „Mach dir keine Sorgen, ich werde mich um deinen Mann kümmern, während du weg bist…“ „Euer Gnaden.“
Avyanne konnte nichts tun, außer sie hilflos anzustarren. „Gute Nacht“, lächelte Nancy böse und trieb ihre Krallen in Avyannes Hals in einer schnellen Bewegung. Ihre Krallen drangen tief in Avyannes Fleisch ein, bis sie einen festen Griff um ihre Luftröhre hatten. „So stirbst du.“ Nancy lachte wahnsinnig, während sie ihren Griff um Avys Luftröhre drückte und drehte, bis sie sie aus ihrem Hals riss.
Avyanne gurgelte um ihr Leben, während Blut aus dem, was einst ihr Hals war, spritzte. Nancy stand über Lunas blutigem Körper und sonnte sich im Sieg. „Ich habe so lange darauf gewartet, das zu tun.“ Nancy leckte das Blut von ihren Krallen mit einem Anflug von Euphorie in ihren Augen.
„Dumme Schlampe. Endlich bist du aus dem Weg.“
Auf dem Boden liegend in solch einem erbärmlichen Zustand, fühlte Avyanne keinen Schmerz, nur ein raues Gefühl des Ertrinkens – Ertrinken in einem endlosen Meer der Dunkelheit, Fallen ins Vergessen, Kämpfen gegen die Strömung, die sie weiter hinab ins Unbekannte trieb. In die Dunkelheit…
Es war dunkel, pechschwarz, so dunkel, dass sie ihr Gewicht nicht einmal fühlen konnte. Es war fast, als wäre sie zu einer Feder geworden und würde von einem wütenden Wind getragen. Was ist das für ein Gefühl?
Sie grübelte, unfähig zu verstehen, was mit ihrem Körper geschah.
Im Herzen der Dunkelheit erschien ein Schleier und öffnete sich, um einen Blutmond zu enthüllen, der seine Tentakel auf ein unbekanntes dunkles Schloss warf und ihm ein unheimliches Aussehen verlieh. Avyanne schauderte vor Angst angesichts des gruseligen Gefühls des Ortes, an dem sie sich gerade befand. Die Statue des Wasserspeiers hing über den sechs Säulen des Eingangs zu dem unbekannten Schloss und bewachte es mit einem bedrohlichen Blick und einem Gefühl der Pflicht. Ihre Augen leuchteten tiefrot, während sie Avyanne anstarrten.
Ein starker Windstoß öffnete die Schlosstüren mit einer Kraft, die die Tür hätte in zwei Teile spalten sollen, es aber nicht tat.
Innerhalb des Schlosses befand sich ein langer, dunkler Tisch, und am Kopfende des Tisches erschien das Bild eines Wolfs, der ihr nicht vertraut war. Der Wolf war nicht allein; er stand mit einer silhouettierten Gestalt, die eine dunkle Ähnlichkeit mit dem Wolf hatte. Seine stechenden gelben Augen glichen der Aura, die von der Silhouette ausging. Sie hatte keine Ahnung, was sie sah oder was es war oder wo sie sich befand, aber sie hatte Angst vor der bösartigen Aura, die von der Silhouette ausströmte. Gänsehaut breitete sich auf ihrer Haut aus, und etwas Ähnliches wie Angst ergriff ihr Herz. War das die Hölle?
Der Magen des Mythos knurrte, als er Avyanna mit seinem Blick durchbohrte, dem einzigen sichtbaren Teil seines Körpers. Endlich stand er dem gegenüber, was die Anomalie verursachte, die seine Existenz zerstörte. Er streckte seine Klauen in die Dunkelheit aus, um Avyannas Lebensenergie zu suchen, aber sie war nicht in seiner Reichweite.
Avyanna war sich der Absichten des Mythos nicht bewusst, aber sie spürte seine Anwesenheit.
Wer ist das?
Was passiert mit mir?
Ist das das Jenseits? Es scheint so düster. Könnte das der Teufel sein?
Fragen über Fragen quälten ihren Geist, während sie weiterhin der Dunkelheit ausgeliefert war und tiefer und tiefer in eine ihr unbekannte Welt fiel.
Plötzlich verschlang die Dunkelheit das Schloss. Sie wurde erneut in die Dunkelheit getaucht, fernab des Mythos' Griff. Sie begann wieder tiefer in die Dunkelheit zu fallen, bis ein schwaches Licht am Ende des Unbekannten erschien. Das schwache Licht wurde heller, je tiefer sie in den Abgrund fiel.
Dann kam das blendende Licht, das sie verschlang und ihre Sicht verblendete. Ihr Körper leuchtete auf, als sie einer weiteren Gestalt gegenüberstand, aber anstatt der gefährlichen, bedrohlichen Aura, die sie zuvor gespürt hatte, nahm sie eine friedliche Aura wahr, die ihr rasendes Herz beruhigte. Sie spürte die Macht dieses neuen Wesens, obwohl sie es nicht sehen konnte. Avyanna beobachtete, wie eine Gestalt, die wie eine Hand in durchscheinendem Licht geformt war, auf sie zukam und ihre Stirn berührte. War das das Paradies? Wird meine Seele in den Himmel gebracht? Avyanna fragte sich, als sie spürte, wie ihr Körper begann, nach oben zu schweben, zuerst langsam, dann etwas schneller und dann noch schneller. Sie schrie, als die Kraft und Geschwindigkeit, mit der sie nach oben beschleunigte, dramatisch zunahm, als ob sie von einem Staubsauger aufgesaugt würde.
Schneller und schneller ging es, bis sie plötzlich zum Stillstand kam.
Avyanna schnappte nach Luft, als sie ihre Augen aufriss und alle verblassten Geräusche der Realität in ihre Ohren zurückströmten; das Gefühl, aufgesaugt zu werden, war nun erloschen. Die Angst war nicht mehr an ihrer Haut festgeklebt.
Ihre Augen passten sich an die Helligkeit eines Ortes an, eines Ortes, der ihr vertraut, aber zugleich fremd war. Sie stellte fest, dass sie sich auf einem Feld befand, das sie aus einer fernen Vergangenheit kannte, aber gleichzeitig einem Ort, an den sie sich nicht erinnerte.
Es war alles surreal für sie.
Wo bin ich?
Wie bin ich hierher gekommen?
Sie grübelte.