




Kapitel 5: Fliegen
Ich komme zu mir, die kühle Nachtluft rauscht durch mein Haar. Starke Arme umschließen mich, binden mich an die Kälte der geheimnisvollen Retterbrust. Gemeinsam gleiten wir durch den Nachthimmel, fort von der gefährlichen Party.
Es dauert einen Moment, bis ich mich erinnere, wo ich bin und was passiert.
"Wach?" fragt eine vertraute tiefe Männerstimme.
Ich schaue nach oben, und obwohl sein Gesicht gerade außerhalb meines Sichtfeldes ist, sehe ich etwas, das mir den Atem stocken lässt.
Weite schwarze lederne Flügel breiten sich gegen die Nacht aus, ihr rhythmisches Schlagen hallt in meiner Brust wider. Wir entfernen uns von der Gefahr, getragen von ihren kraftvollen Schlägen.
Mein Herz rast, kämpft darum, die surreale Wahrheit zu begreifen.
"Wie lange war ich...?" stammele ich, ringend nach Worten.
"Nur ein paar Minuten," antwortet er.
Seine Stimme kommt mir seltsam vertraut vor. Um Bestätigung zu brauchen, drehe ich mich in seinen Armen und strecke meinen Hals, um ihn zu sehen.
Sein perfektes Gesicht kommt in Sicht—schmerzhaft schön. Ich nehme seinen starken Kiefer, die scharfen Wangenknochen, die makellose Haut, die im Mondlicht wie blasses Marmor glänzt, und diese durchdringenden eisblauen Augen, die starr nach vorne blicken, in mich auf.
Aleksandr Vasiliev. Der neue Schwager meiner Mutter. Der Mann, der offenbar fliegen kann. Ist er ein Superheld? Ein mythisches Wesen? Oder vielleicht ein Superschurke? Nein, das ist reine Fiktion. Solche Dinge existieren nur in Geschichten, auf Bildschirmen und in Büchern.
Seine Flügel schlagen rhythmisch und treiben uns durch die Nacht. Während ich mich verzweifelt an ihn klammere, strömen Fragen durch meinen Kopf. Ist das real? Auf keinen Fall. Es kann nicht sein. Menschen wachsen nicht plötzlich Flügel und fliegen in den Himmel. Vielleicht träume ich, oder vielleicht habe ich mich hinreißen lassen und zu viel Champagner auf der Party getrunken...
Nein, ich träume offensichtlich. Muss ich. Die einzige Erklärung. Jeden Moment werde ich in meinem Bett aufwachen, mit einem schrecklichen Kater vom zu harten Feiern.
Mit fest geschlossenen Augen vergrabe ich mein Gesicht in Aleksandrs Brust und wünsche mir, aufzuwachen.
"Du träumst nicht, Arianna," sagt Aleksandr und durchbricht meine Gedanken. "Auch wenn du es dir vielleicht wünschst."
"Wohin bringst du mich?" Meine Stimme zittert, als ich spreche.
"Ich weiß, du hast viele Fragen, Arianna," sagt er und weicht meiner Frage aus. "Aber ich bin nicht hier, um sie zu beantworten. Geduld wird alles rechtzeitig enthüllen."
Seinen Befehl ignorierend, drehe ich mich erneut, um sein Gesicht zu sehen.
"Bist du... ein Engel?" Meine Frage ist zögerlich, die Augen nervös über die Weite seiner Flügel wandernd.
Er schnaubt, ein hohles Lachen entweicht ihm.
"Keine Fragen, Kind," weist er streng an, ein Hauch von Amüsement in seiner Stimme.
"Kind? Und was bin ich, fünf Jahre alt?" erwidere ich, mein Ton von Verlegenheit und Ärger getränkt. "Ich bin achtzehn, nicht—"
"Du bist ein Kind," behauptet er. "Du hast keine Ahnung, wie jung du bist. Jetzt hör auf deine Älteren und sei still."
Für wen hält er sich? Wut spannt meine Fäuste an, während ich seine Jacke umklammere und Gedanken an den weit entfernten Boden vermeide.
"Ältere?" schnaube ich. "Wie alt bist du überhaupt? Fünfunddreißig? Nicht gerade uralt."
Er lacht, ein tiefes, amüsiertes Grollen.
Wir setzen unseren Weg in Stille fort, nur das Rauschen des Windes gegen seine Flügel durchbricht sie.
Endlich erlaubt mir der Mut, erneut zu sprechen.
"Also gut, du bist kein Engel," murmele ich leise. "Aber was auch immer für ein fantastisches, unmögliches Sci-Fi-Wesen du bist... sind deine Mutter und Konstantin dasselbe?"
Er bleibt still, zwingt mich weiterzumachen.
"Na gut, ich nehme das als ein Ja," murmele ich. "Und da meine Mutter deinen Bruder geheiratet hat, weiß sie von diesem... diesem magischen Zeug?"
"Ja," antwortet Aleksandr diesmal klar und ohne Zögern.
Seine Antwort überrascht mich. Ich hatte mit einer Ablehnung gerechnet, mit der Behauptung, sie wüsste von nichts. Es ist schwer zu begreifen, dass meine Mutter freiwillig... wissentlich... jemanden oder etwas Unmenschliches geheiratet hat.
Noch schlimmer - sie hat es vor mir verborgen.
"Wenn sie es wusste, warum hat sie es mir nicht gesagt?" Ich halte die Tränen zurück, die hinter meinen Augenlidern aufsteigen. "Hatte sie überhaupt vor, es mir zu sagen?"
"Das kannst du sie selbst fragen," antwortet er. "Bald. Wir sind fast am Himmelsportal."
"Himmelsportal?" wiederhole ich, unsicher, ob ich den Begriff verstehen soll.
"Schau," fordert er sanft. "Vor uns."
Die Welt verwandelt sich in eine surreale Traumlandschaft, als wir uns einem leuchtenden elektrischen blauen Portal nähern—einem Riss im Gewebe des Nachthimmels, der mit einer Dunkelheit lockt, die dunkler ist als die Nacht selbst. Knisternde Geräusche hallen in den peitschenden Winden wider und jagen mir Schauer über den Rücken. Sein unheimliches Leuchten wirft ein überirdisches Licht auf Aleksandrs scharfe Züge.
Mein Herz rast, als wir näher kommen. Für einen Moment umhüllt uns ein grelles blaues Licht, wie das Herz einer Kerzenflamme. Es ist überwältigend, wie das Eintauchen in ein Meer aus Energie. Die kalte Luft wird intensiver, eine beißende Kälte, die meinen ganzen Körper betäubt.
Wir passieren das Portal, und ein seltsames Gefühl des Dehnens und Gezogenwerdens umhüllt mich. Unbekannte Sterne werfen ein silbrig-blaues Licht auf meine Haut. Frostiger Atem bildet Nebel vor mir, die Kälte dringt bis in meine Knochen.
Den Mut aufbringend, über das Heulen des Windes zu sprechen, frage ich: "Wo sind wir?"
"Geduld, Kind, wir sind fast da," antwortet Aleksandr, seine Stimme klar gegen das Heulen des Windes.
"Fast wo?" dränge ich.
"Der Palast der Endlosen Nacht," antwortet er, eine Note von Feierlichkeit färbt seine Stimme. "Direkt unter uns. Schau."
Ich atme tief ein und wage es, nach unten zu schauen, und nehme den Anblick eines dunklen Berges bedeckt mit Schnee und dichten Kiefern wahr, ein weites tintenschwarzes Teppich aus Wald weit unten. Ein großes und gotisches Schloss thront auf dem Berg wie ein alter steinerner Wächter. Die dunkle Fassade der Festung wird von flackernden Fackeln beleuchtet, deren blaues Feuer die kalte Nachtluft leckt.
Wir sinken herab und landen auf einem breiten steinernen Balkon über den Zinnen. Ich stolpere, werde aber von Aleksandrs starkem Griff gestützt. Als ich mich von ihm löse, schleicht sich Misstrauen über mich.
Mein Blick schweift über die fremde Landschaft. Schneebedeckte Gipfel erheben sich in der Ferne, ein Dorf mit goldenen Lichtern leuchtet weit unten. Das Schloss steht als architektonisches Wunder da, große Holztüren flankiert von riesigen Feuerstellen mit seltsamen blauen Flammen, kunstvolle Steinschnitzereien von mythischen Kreaturen schmücken seine Wände.
Weißer Puder fällt vom Himmel. Instinktiv strecke ich meine Hand aus und staune, als Schneeflocken auf meiner Haut schmelzen—ein bezauberndes Gefühl, das ich seit meinem einzigen Ausflug in den Schnee mit meiner Mutter, als ich acht Jahre alt war, nicht mehr erlebt habe.
"Die anderen werden bald zu uns stoßen," informiert mich Aleksandr gleichmäßig.
Ich blicke nach oben, das Geräusch riesiger Flügel, die die Luft schlagen, wird lauter. Zwei dunkle Gestalten verdecken die Sterne und werfen einen gewaltigen Schatten. Als sie näher kommen, nehmen sie Gestalt an—Anya, Aleksandrs und Konstantins Mutter, und, hinter ihr, meine Mutter, umarmt von ihrem neuen Ehemann.
Erleichterung überkommt mich, und ich renne auf sie zu, schreie "MAMA!" aus voller Kehle.