




6 Wiedersehen mit Nick
Ich biss die Zähne zusammen und schluckte meine Scham hinunter, während sie und ihre Zofe zusahen, wie ich langsam mein schlammiges Kittel auszog und mein zerschlissenes graues, geflicktes Kleid zum Vorschein kam. Das Kleid war schon lange getragen worden, die Ränder des Stoffes waren abgenutzt, und selbst die Flicken waren grau geworden.
Ich legte meine alten Schuhe und den Kittel in die Ecke der Tür und trat barfuß in den Raum. Ich ging hinüber, nahm die Schuhe aus den Händen der Zofe und kniete nieder, um sie ihr anzuziehen. Dann hörte ich ihre Stimme. "Geh und bring ihren Müll raus."
"Ja." Die Zofe ging zur Tür, und bevor ich reagieren konnte, nahm sie meine Kleidung und Schuhe und warf sie aus dem Fenster im Flur.
"Du!" Das ist alles, was ich noch habe! Ich konnte nicht anders, als sie wütend anzustarren.
"Ich liebe diesen wütenden Blick in deinen Augen," lächelte sie mich an und packte mein Kinn, "Es bereitet mir großes Vergnügen, dich leiden zu sehen. Denkst du, ich sollte Vater bitten, dich als meine Zofe zur Königsfamilie zu bringen?"
Nein! Auch wenn ich von meinem Vater nicht akzeptiert wurde, war ich immer noch Teil des Rudels, und wenn ich zur Königsfamilie gebracht würde, wäre ich ein völliger Außenseiter, der von niemandem akzeptiert wird! Lykaner bekommen ihre Wölfe normalerweise vor uns. Sie akzeptieren nichts ohne Wölfe. Ich werde als Mensch getötet werden!
Meine erschrockenen Augen entgingen ihr nicht, und sie spielte mit meinen Ängsten wie ein Kind, das ein neues Spielzeug gefunden hat.
"Kral wird es nicht erlauben. Die Königsfamilie hat strenge Regeln, was das Zulassen anderer Werwölfe in ihre Häuser betrifft," sagte ich, fing mich wieder und sah ihr in die Augen.
"Aber ich bin seine Frau und zukünftige Königin," prahlte Bernice. "Schau dir all diese Geschenke an," sagte sie und zeigte auf die vielen Juwelen in den Händen der Zofe, "Ich habe nichts gesagt. Er hat sie einfach für mich geschickt. Er ist völlig von mir fasziniert. Es gibt nichts, was er nicht für mich tun würde, solange ich es verlange."
Beruhige dich, sagte ich mir. Tu etwas, Delia, ich darf nicht als Mitgift zur Königsfamilie geschickt werden, Bernice und die Lykaner werden mich töten.
Ich zog ihr schweigend die dreieinhalb Zoll hohen Diamantabsätze an. Die schimmernde Farbe der Diamanten ließ ihre Beine lang und schlank erscheinen. Sie zog ihren weißen Seidenmantel aus und zog ein langes, enges, goldenes Fischschwanzkleid an. Ihr krauses blondes Haar hob ihre distanzierten und stolzen Augen hervor. Ich stand neben ihr, wie eine stumme Statue.
"Bring mir die Krone, die Kral mir gegeben hat."
Die Zofe lief zum Schrank und holte eine teuer aussehende Schachtel heraus.
"Setz sie mir auf." Bernice warf mir einen Blick zu.
Die Zofe zog weiße Handschuhe an und öffnete vorsichtig die Schachtel, um eine Krone zu enthüllen. Ich blinzelte. Es war die Krone, die ich noch nie zuvor gesehen hatte. Sie hatte zwölf tropfenförmige Perlen, die ordentlich auf der Krone angeordnet waren. Auf jeder Perle thronte ein perfekt geschliffener herzförmiger Diamant. Der Sockel der Krone war silbern mit Ringen aus olivenblattförmigen Kristallen. Im Licht der Sonne wirkte sie heilig und elegant wie die Krone unserer Mondgöttin.
Bernice war so zufrieden mit der Krone, dass die Zufriedenheit in ihren Augen fast überlief.
"Weißt du was? Die Krone basiert auf der ursprünglichen Krone von Krals Mutter bei ihrer Hochzeit. Sie wird Mondlichtkrone genannt, und für die Königsfamilie gehört sie nur einer anerkannten Königin. Und ich bin ihre zukünftige Königin."
Ich sagte nichts, sondern hob sie auf und setzte sie vorsichtig auf Bernices Haar. Die Krone schmückte ihre Schönheit.
"Bernice, die ersten Gäste der Königsfamilie sind eingetroffen. Bist du bereit?"
Unser Vater klopfte an die Tür und sah Bernice, die bereits angekleidet war, zufrieden an.
"Natürlich, Vater. Du wirst heute stolz auf mich sein." Bernice breitete die Arme aus und drehte sich im bewundernden Blick unseres Vaters wie ein Pfau. Ihr langes goldenes Fischschwanzkleid leuchtete hell. Im Gegensatz dazu war ich in meinem dünnen grauen Kleid eher wie ein unbedeutender Staubfleck an der Wand.
Bernice betrachtete sich im Spiegel. Sie erhaschte einen Blick von mir, wie ich mit gesenktem Kopf dastand, und verdrehte dann die Augen und bedrohte mich. "Delia, leg mir diese Perlenkette an."
Die Kette? Ich folgte ihrem Blick zur Schachtel auf der Kommode, und eine einfache und zarte Perlenkette kam in mein Blickfeld. Es ist meine Kette. Es ist die meiner Mutter!
Meine Finger begannen vor Wut zu zittern, und ich musste meine Hand so fest kneifen, dass der Schmerz den Drang, sie sofort wegzunehmen, unterdrückte.
"Los, Delia, was wirst du tun, wenn du nicht einmal das richtig hinbekommst?" Die strenge Stimme meines Vaters ertönte, und er stand an der Tür, unzufrieden mit meinen langsamen Bewegungen.
Vater, das war das Letzte, was mir meine Mutter gegeben hat! Ich wollte ihn anschreien und eine Szene machen wie ein Verrückter, aber ich wusste, dass ich kein Recht dazu hatte.
Der Schmerz nagte an meinem Herzen. Mit steifen Fingern legte ich die Kette um Bernices Hals und sah zu, wie sie die runde Perle streichelte. Die Frustration ließ meine Augen fast tränen. Die Kette war zu schlicht. Sie passte nicht zu ihrem Outfit. Ich wusste, dass sie es nur genoss, mich leiden zu sehen.
"Es ist Zeit zu gehen, Vater. Als fürsorgliche Ehefrau können wir den edlen Kral nicht warten lassen." Sie nahm die Hand unseres Vaters und ging mit ihm weg.
Als sie an mir vorbeiging, schenkte sie mir ein triumphierendes Lächeln.
"Du bleibst hier und störst die Feier nicht," kam die Stimme meines Vaters aus der Ferne. Er sah mich nicht einmal an.
Vater und Bernice waren gegangen, ebenso ihre Zofe, und ich stand nun in einem dünnen grauen Kleid, mein Kittel und meine Schuhe lagen noch unter dem Fenster. Ich betete zur Mondgöttin, dass die Diener sie nicht dorthin werfen würden, wo ich sie nicht finden konnte.
Ich verschränkte die Arme und betrachtete mich im Spiegel. Mein langes kastanienbraunes Haar hing unordentlich hinter meinem Kopf, und mein blasses Gesicht war mit dunkelroten Handabdrücken gezeichnet. Ich sah wieder auf meine dünnen Füße, und mein rechter Knöchel hatte einen grauen Bluterguss von vor ein paar Tagen. In nur einem dünnen grauen Kleid sah ich kleiner und dünner aus, was unter Werwölfen ungewöhnlich war.
Bernices Zimmer war groß, mit einem weißen Wollteppich, der sich vom Bett bis zum Fenster erstreckte. Ich spürte die Weichheit des Teppichs, als ich barfuß darauf stand. Plötzlich erinnerte ich mich an mein kleines Zimmer, wo nur eine Matratze aus Unkraut und ein Holzbrett als mein Bett dienten. Ich nähte alte Kleider, die mir nicht mehr passten, zusammen, um Laken und Decken zu machen. Im Vergleich zu Bernices Zimmer war es zu schäbig. Aber ich sehnte mich danach, in das kleine Zimmer zurückzukehren, wo ich mich sicher fühlte.
Früher lebte ich in einem großen Zimmer mit einer Samtdecke über meinem Bett, und am Morgen wählte meine Mutter ein Kleid aus und legte es neben mein Bett, aber das war vor langer Zeit, wie in einem Traum.
Ich will nicht länger hier bleiben. Erinnerungen an die Vergangenheit machen mich krank und schwach, aber ich muss stark sein, um zu überleben.
Der Türknauf klickte.
"Wer?" Ich klammerte mich an mein dünnes graues Kleid und sah den Mann misstrauisch an.
An einem so wichtigen Tag waren alle im Rudel in der Halle, um den königlichen Prinzen zu begrüßen, wer würde in Bernices Zimmer einbrechen?
Nick stand an der Tür. Er trat näher, starrte mich intensiv an und flüsterte: "Lass mich sehen, welche kleine Maus ich gefangen habe?"