




4 Der schwarze Wolf
Der Mond erhellte seinen Körper. Sein schwarzes Fell schimmerte silbern im Mondlicht. Mit einem Schwung seines Schwanzes riss das Seil, das mich gefesselt hatte, entzwei. Sofort hob ich die auf dem Boden verstreuten Kleider auf, um meinen Körper zu bedecken.
Der Wolf drehte seinen Kopf. Seine goldenen Augen waren voller Gefahr. Seine Reißzähne waren so scharf, dass ich sicher war, er könnte mich mit einem Bissen verschlingen. Sein großer Kopf schnüffelte an mir. Ich schloss die Augen und wagte es nicht, mich zu bewegen. Sein Fell streifte meinen Körper und jagte mir Schauer über den Rücken, und sein schnelles Atmen schien Funken zu tragen. Plötzlich ließ er ein Brüllen in die Richtung los, in die Nick geflohen war.
"Whooooooo!" Das Heulen des Wolfs war so laut, dass die Bäume im Wald zitterten. Es war so vertraut und wütend, dass mir klar wurde, dass ich mir nichts eingebildet hatte.
Der Wolf schien ein wenig aufgeregt und drehte sich um mich auf dem Boden. Sein Schwanz zog Kreise auf dem Boden, als wäre ich seine Beute. Seine goldenen Augen waren auf meine fixiert. Ich lag still in seinem Kreis und versuchte, mich nicht zu bewegen. Aber er war unzufrieden mit mir. Wenn ich mich bewegte, jagte er mir einen Schrecken ein und fauchte mich an, bis ich wieder an meinem alten Platz war.
Ich versuchte, ihm meinen Duft zu geben, damit er erkannte, dass ich kein Mensch war, dass ich nicht sein Futter war, aber er reagierte nicht.
Der Mond wanderte nach Westen, was eigentlich die Zeit war, in der Werwölfe in der Nacht ihre Kraft verlieren sollten, aber es schien keinen Einfluss auf den riesigen Wolf zu haben.
Die Kreise, die er mit seinem Schwanz zog, wurden immer kleiner, seine goldenen Augen waren blutunterlaufen, und die Hitze aus seiner Nase ließ mein langes kastanienbraunes Haar über meinen nackten Rücken fliegen. Als der Wolf immer näher kam, musste ich mich Stück für Stück zusammenrollen, bis ich mich nicht mehr weiter zusammenrollen konnte.
Er senkte seinen Kopf und berührte meine Wange mit seiner nassen Nase. Seine goldenen Augen waren wie Glas und spiegelten meinen zerzausten Zustand auf dem Boden wider. Ich schaute über meine Schulter und konnte den Speichel auf seinen Reißzähnen sehen. Schließlich brach ich in Tränen aus. Die Realität, von meinem Vater verlassen worden zu sein und die Angst, von einem Wolf getötet zu werden, machten es mir unmöglich, ruhig zu bleiben. Da ich sterben würde, war es keine Schande, meine Emotionen im letzten Moment zuzulassen.
Einfach sterben, dann kann ich endlich meine Mutter wiedersehen.
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„Mama, wir Werwölfe haben doch alle unsere Gefährten, oder?“ fragte ich, während ich neben dem Frisiertisch meiner Mutter saß und zusah, wie sie ihr langes kastanienbraunes Haar mit einem mit Rubinen besetzten Kamm kämmte.
„Natürlich, mein Liebling“, sagte meine Mutter, steckte ihr langes Haar mit einer Spange hoch und nahm mich in ihre Arme. Sie fuhr mit ihren langen Fingern durch mein Haar. „Meine kleine Prinzessin, du wirst einen Gefährten haben, der dich sehr liebt. Er wird dich lieben und beschützen, so wie ich es tue.“
Ich schaute meine Mutter im Spiegel an und sie lächelte mich an. Die goldene Sonne schien durch das Fenster auf ihr strahlendes Gesicht. Es war so schön. Meine Mutter hatte einen beruhigenden Duft, der mich dazu brachte, sie fest zu umarmen, als hätte ein Ertrinkender das letzte Stück Treibholz ergriffen.
„Auch... auch wenn ich ein Monster ohne Wolf bin?“
Langsam hob ich meinen Kopf aus ihren Armen, und ihre blauen Augen sahen mich traurig an, ohne ein Wort zu sagen. Tränen strömten aus meinen Augen, und das Gesicht meiner Mutter begann zu verschwimmen.
Plötzlich wurde ihr schönes Gesicht hager und ihr langes kastanienbraunes Haar stumpf, und ich begann, den Halt an ihrer Gestalt zu verlieren. Sie nahm ihre Perlenkette von ihrem Hals und gab sie mir mit ihrer letzten Kraft. Plötzlich wurde mir klar, dass ich träumte. Meine Mutter, die edle Luna unseres Rudels, war vor zehn Jahren gestorben, und ich träumte wieder von ihr.
„Mama...“ Ich griff nach der Kette und rief immer wieder nach ihr, aber ihr Schatten war im Licht verschwunden.
In meinen tränenverschleierten Augen konnte ich die ferne Stimme meiner Mutter hören: „Die Mondgöttin wird dich segnen, mein Kind.“
Ich wachte weinend auf, Tränen liefen über mein Gesicht. Zusammengekauert auf meiner Pritsche im Besenschrank tastete ich unter meinem Kissen nach dem letzten Geschenk meiner Mutter, einer einfachen Silberkette mit Perlen. Ich legte sie um meinen Hals und fragte in meinem Herzen: Passt Mutter auf mich auf? War das, was letzte Nacht passiert ist, ein Traum?
Ich erinnere mich noch an das, was letzte Nacht passiert ist. Nick hat mich niedergeschlagen und in den Wald am See gebracht... Ein großer schwarzer Wolf tauchte aus dem Nichts auf. Er hatte goldene Augen...
Aber ich habe keine Erinnerung daran, wie ich zurückgekommen bin. Die letzte Erinnerung ist, dass ich unter dem Druck des Wolfs schließlich zusammenbrach und weinte. Ich will nicht zu tief darüber nachdenken. Mein schwerer Kopf kann nicht zu viele Erinnerungen ertragen.
Nun, ich bin noch am Leben. Ich werde mich selbst beschützen. Mama, ich schwöre es dir.
Ich habe nicht viel Zeit zum Nachdenken und Trauern. Heute ist der Tag der Zeremonie zur Begrüßung des königlichen Prinzen. Ich sollte den Saal aufräumen, also sprang ich aus dem Bett, zog mein zerschlissenes Sackleinen an und legte meine alte Schürze darüber. Ich hatte nicht viel zum Wechseln, also konnte ich mich nur so bedecken.
Als ich die Tür öffnete, wurde ohne Vorwarnung ein Eimer kaltes Wasser über mich geschüttet.
„Bist du wach, du faule Kröte?“ Bernices herrische Stimme erklang vor mir.
Ich wischte mir das eiskalte Wasser aus dem Gesicht, und mein Haar lag schlaff und nass auf meinem Gesicht.
Als ich die Augen öffnete, sah ich Bernice vor mir stehen, begleitet von zwei Dienerinnen, die vermutlich den Eimer mit kaltem Wasser trugen.
„Schau dich an, du bist ein einziges Chaos“, sagte Bernice, hob ihr Kinn und verschränkte die Arme in ihrem weißen Seidenmorgenmantel, „Du siehst aus wie ein nasser Straßenköter“, sagte sie bösartig und genoss meinen zerzausten Anblick mit sichtlicher Freude. „Ich kann nicht anders, als dich treten zu wollen.“ Ich wusste, dass ich zu spät war und nicht wie üblich aufgeräumt hatte, und sie hatte einen Grund gefunden, mich ordentlich zu bestrafen.
„Heute ist ein großer Tag. Wenn der Prinz wüsste, dass seine zukünftige Frau eine missbrauchende...“
Vielleicht hatte der Traum ein wenig von meinem Temperament geweckt, also blieb ich nicht wie sonst still, sondern erwiderte ohne nachzudenken.
„Pa!“ Bevor ich meine Worte beenden konnte, musste ich meinen Kopf zur Seite neigen, weil ich eine Ohrfeige bekam.
Die rechte Seite meines geschlagenen Gesichts wurde schnell rot und geschwollen, im scharfen Kontrast zu meiner blassen linken Seite. Bernice trat vor und zog so heftig an meinem Kragen, dass ich kaum stehen konnte, und ihre scharfen Augen schnitten in mein Gesicht, als könnte ein Messer mich zerschneiden.
„Als zukünftige Königin ist es doch selbstverständlich, dass ich den ungehorsamen Wolf in meinem Rudel diszipliniere, oder?“ Bernices dünne Lippen öffneten sich, als sie demütigende Worte ausspuckte. Sie betrachtete mein Gesicht genau, wollte Traurigkeit oder Wut darauf sehen, was sie glücklicher gemacht hätte. Ich kannte das so gut, dass ich ihren Blick mied und schweigend auf den Boden starrte.
„Nutzlose Schlampe!“ Mein Schweigen langweilte sie, und ihre langen Nägel kratzten über mein Gesicht und meinen Hals. Es gab ein leichtes Stechen in meinem roten, geschwollenen Gesicht, und erst als ihre langen, schlanken Finger mein Schlüsselbein hinunterglitten, wurde mir klar, welchen schrecklichen Fehler ich gemacht hatte.