




Kapitel 2 - Tod durch Heirat
„He...y“, stöhnte Jacob durch seinen blutgetränkten Mund. Er beobachtete, wie der Sensenmann in seinen Schritten innehielt und scheinbar auf seine Stimme lauschte.
„Hey! Hi...er! Schau...hierher!“
Der Sensenmann blickte auf den erbärmlichen Zustand seines Rufers hinab und zog überrascht eine Augenbraue hoch.
„Du kannst mich sehen, Mensch?“ fragte er.
„Du bist ein Sensen...mann“, stellte Jacob fest und ignorierte seine Frage. „Du...du musst...von diesem Clan sein.“
Dieser Satz traf definitiv einen Nerv. ‚Wie?‘ dachte der Sensenmann. Wie konnte ein normaler Mensch von einem Clan der Sensenmänner wissen? Es sollte ein gut gehütetes Geheimnis sein, es sei denn...
Es sei denn, dieser Mann war nicht so normal, wie er zuerst dachte.
Halpas – der halbgebackene Dämonenmann – hatte schließlich versucht, ihn zu töten. Vielleicht steckte mehr hinter dieser Geschichte als nur ein zufälliger Mord.
Und deshalb wuchs sein Interesse.
„Bit...te, ich fle...he dich an“, stöhnte Jacob, seine blutgetränkten Zähne knirschten. „Beschütze...meine Tochter. Sie verdient es nicht...ein Leben in Angst zu führen.“
Jacobs Zustand war erbärmlich, aber der Sensenmann war überhaupt nicht betroffen. Er hatte so viele Tode unzählige Male gesehen, einige grausam, einige schnell, und er war völlig immun dagegen geworden: ein Anreiz für einen Job, der einen lebenslangen Vertrag beinhaltete.
„Ich bin kein Babysitter, Mensch, wenn du das vorschlägst“, fuhr der Sensenmann auf, aber Jacob, dem der Tod nahe war, ließ sich nicht beirren.
„Bit...te. Ich möchte, dass sie...beschützt wird. Lass sie in die Rantz...en Fam...ilie heiraten. Ich werde...in Frieden sterben, wenn sie sicher ist.“
Daraufhin schnaubte der Sensenmann.
„Du bist ein mutiger Mensch, das muss ich dir lassen. Wer glaubst du, dass du bist, um etwas von mir zu verlangen?“
„Bit...te, ich brau...che, dass sie...si...cher ist“, flehte Jacob erneut. Diesmal konnte er spüren, wie sein Sehvermögen verschwamm.
„Papa?“ Eine sanfte Stimme eines Kindes ertönte plötzlich von der Terrasse im Hinterhof. Sie hatte einen Pferdeschwanzzopf, trug ein niedliches gelbes Tutu-Kleid und ein Paar Ballettschuhe. Ihre Augen waren rehähnlich, verlockend, mit einer Farbe, die der Sensenmann bei Menschen nicht oft gesehen hatte. Sie waren blassviolett und blau. Es passte perfekt zu ihrem platinweißen Haar, das bei einem Kind ihres Alters nicht fehl am Platz wirkte.
„Ist das sie?“ fragte er Jacob, aber seine Aufmerksamkeit war immer noch auf sie gerichtet.
„Papa!“
Trotz des rutschigen Bodens rannte das Mädchen so schnell sie konnte zu ihrem Vater.
Mit letzter Kraft drückte sich Jacob zur Seite, um die Umarmung seiner Tochter zu erwidern.
„Sol...ene, Schätz...chen“, keuchte er und nahm sie in seine von Schnittwunden übersäten Arme. Er brach in Schluchzen aus, Tränen benetzten den Kopf des Kindes.
Es dauerte nicht lange, bis eine weitere Person aus dem Haus trat.
„Solene, Liebes?“ rief die Mutter des Kindes. „Was machst du- oh Gott, Jacob! Nein!“
Entsetzen erfüllte sie, als sie ihren in Blut gebadeten Ehemann sah. Wie ihre Tochter rannte sie zu ihm und umarmte ihn.
„Wie? Wie?! Wer hat dir das angetan?!“ schrie sie und schüttelte seine Schultern, dann überprüfte sie hastig den gesamten Hinterhof, um zu sehen, ob es jemanden – irgendjemanden – gab, der der Täter sein könnte.
Sie sah niemanden, obwohl der Sensenmann nur ein paar Meter von ihnen entfernt stand.
Er war natürlich unsichtbar, naja, außer für Jacob, und es schien auch für seine Tochter, denn er sah, wie ihre rehähnlichen Augen auf seine gesamte Gestalt fixiert waren und ihn vollständig in sich aufnahmen. Es war sowohl beunruhigend als auch faszinierend.
„Meri...dith, es ist okay. Weine...nicht“, keuchte Jacob erneut, als er trotz seines verschwommenen Sehvermögens den Tränenstrom sah, den sie vergoss. „Solene, sie ist...“
„Jacob, wir müssen dich schnell ins Krankenhaus bringen!“ rief sie und unterbrach ihn.
„Nein, keine...Zeit“, schaffte er es, langsam den Kopf zu schütteln. „Hör...mir zu. Solene. Sie...sie wird...in die Rantzen...fam...ilie heiraten, versprich...es mir.“
Der Sensenmann zog eine Augenbraue hoch. Die Dreistigkeit dieses Mannes. Er hatte noch nicht einmal zugestimmt, und hier war er schon, erwartete, dass er den letzten Wunsch des Mannes erfüllte.
Für die Ehefrau jedoch wurden Jacobs Worte nicht ernst genommen.
„Wovon redest du?!“ Sie legte ihre Hand auf sein Gesicht und sah in seine halb geschlossenen Augen. „Warum redest du über...Heirat in einem Moment wie...diesem?!“
Jacob drückte ihr Handgelenk mit seiner rechten Hand und zog die Hand seiner Tochter mit der anderen.
„Verspr...ich es mir, Schat...z“, sagte er, während er die Hände seiner Frau und seiner Tochter zusammenlegte. „Um...sie zu schützen, braucht sie...ihren Schutz. Sie werden...sie beschüt...zen.“
Diesmal erfasste die Schwere der Situation die Ehefrau. Sie konnte es in seinen Augen sehen. Dies war der Tag, den er in den letzten Jahren gefürchtet hatte.
„Oh Gott, Jacob. Nein“, gab sie nach und ihre Schultern sanken daraufhin. „Warum muss das passieren?!“
„Ich lie...be euch beide...immer und ewig“, verkündete Jacob, kurz bevor er seinen letzten Atemzug nahm.
„Papa!“ rief das kleine Mädchen, als sein Kopf nach unten sank. Sie umarmte ihn fester und ignorierte den Sensenmann, der nun dicht bei ihnen stand.
„Keine Sorge, Kleine. Ich werde dafür sorgen, dass seine Seele ins Jenseits geschickt wird“, sagte er, und dann leuchtete die Klinge seiner Sense.
Familie, Freunde und Nachbarn nahmen an der dreitägigen Totenwache des bekannten Geschichtsprofessors der Stadt Germaine teil. Jacob war ein fürsorglicher Mann mit sanfter Stimme und ansteckendem Lachen. Er wurde von seinen Universitätskollegen für seine Weisheit und seine Philosophie der Welt hoch geschätzt.
Sein Tod war eine Tragödie für alle, die ihn kannten. Niemand konnte wirklich sagen, was die Ursache seines Todes war. Die Ärzte sagten, es sei ein Herzinfarkt gewesen, aber die anderen Skeptiker an der Universität sagten, es sei ein Bärenangriff gewesen, basierend auf den Schnittwunden an seinen Unterarmen, Beinen und am Oberkörper.
Für die kleine Solene jedoch war es weder das eine noch das andere. So unschuldig und jung wie sie war, in ihren Augen war es einfach. Der blauhaarige Mann hatte ihren Vater mitgenommen.
„Blau“, sagte sie immer, wenn ein Freund ihres Vaters sie bei der Totenwache begrüßte.
Alle Erwachsenen, die dachten, es sei nur ein Kinderspiel, schüttelten nur den Kopf und lächelten.
Es war die letzte Nacht der Totenwache, als Solenes Mutter sie verzweifelt im ganzen Haus suchte. Schließlich fand sie sie unter dem Tisch im Arbeitszimmer ihres Vaters mit einem großen Buch neben sich, aufgeschlagen auf Seite drei.
„Solene?“ Meridith beugte ihren Kopf an den Rand des Tisches und schaute hinunter. „Schatz, warum bist du da unten?“
Das kleine Mädchen schaute auf und schenkte ihrer Mutter ein Lächeln. „Buch, Mama.“
„Oh?“ Meridith runzelte die Stirn. Sie richtete sich auf und ging um den Tisch herum, um sich zu ihrer Tochter darunter zu gesellen. „Was ist das für ein Buch?“
Sie hockte sich hin und schlug den Einband um.
„Buch der Toten“, sagte die kleine Solene unschuldig.
Ein sofortiges Keuchen entfuhr Meridiths Lippen.
„Oh mein Gott. Du solltest das nicht halten, Schatz. Dieses Buch ist gefährlich.“
Sie schloss das Buch schnell und nahm es außer Reichweite ihrer Tochter.
„Das ist Papas Buch, Mama. Ich will es behalten.“ Die kleine Solene griff nach dem Buch, aber Meridith hob die Arme hoch.
„NEIN!“ schrie sie, ein Gefühl des Schreckens überkam sie. Aber dann bemerkte sie, dass sie zu hart reagiert hatte. „Nein...nein, Schatz“, sammelte sie sich und schenkte ihrer Tochter ein sanftes Lächeln. „Ich werde es dir geben, wenn du älter bist, okay? Aber nicht jetzt. Es...es ist noch nicht die Zeit.“
Die kleine Solene presste die Lippen zusammen und nickte. „Okay, Mama.“