




Kapitel 2 Der Ring der königlichen Familie
Sebastians Perspektive
Sie küsst mich?! dachte Sebastian, als er auf das einfache und schwache Mädchen vor ihm hinabsah. In ihren großen braunen Augen konnte er die Angst sehen. Er war es gewohnt, dass die Menschen um ihn herum Angst vor ihm hatten. Er wusste, was alle von ihm dachten, und es war ihm völlig egal. Sie fürchteten ihn wegen seiner Entstellung. Für die Menschen um ihn herum war er abscheulich und für Frauen abstoßend. Er ballte die Fäuste, und die Angst in ihren Augen wuchs mit jedem Moment.
Hannah war nicht anders als die anderen. Sie sah ihn als Monster. Er war ein Monster.
Ihre Lippen lagen sanft auf seinen, schmeckten wie ein Rosenmilchshake. Obwohl er noch nie ein solch mädchenhaftes Getränk probiert hatte, erkannte er den Geschmack sofort. Zum ersten Mal in seinem Leben war er von der Kühnheit einer Frau schockiert. Sie war schwach und klein, handelte mit so viel Angst, und doch bewiesen ihre Taten nichts als Mut. Ein Summen erklang in seinen Ohren, und sein Herz pochte, als ob ein Ziel nach einem Pfeilschuss erzitterte.
Er vertiefte den Kuss, als wären sie die einzigen beiden im Raum; seine Hände drückten gegen den Hinterkopf von Hannah, griffen fest in ihre braunen Haarsträhnen und hielten ihren Kopf an Ort und Stelle, während seine Zunge ihren Mund energisch erkundete.
"Beruhige dich, bevor du das Mädchen verletzt," knurrte sein innerer Wolf Eric.
Sebastian fühlte sich hungrig nach der Omega; sie schmeckte so süß und war so zart. Es war ein ungewohntes Gefühl, das ihn fast erschreckte.
"Reiß dich zusammen, JETZT," fuhr Eric fort zu schimpfen. "Sie kann kaum atmen!"
Eric hatte recht; Sebastian öffnete kurz die Augen und sah, wie Hannah gegen seinen Mund um Atem rang. Ihr Gesicht war gerötet, und ihr Körper war fest gegen seine harte Außenhülle gedrückt. Seine Finger zitterten, als er sich von ihr löste. Sie stand atemlos da und starrte ihn mit angstgeweiteten Augen an.
Das bestätigte nur ihr Wissen, dass er ein Monster war.
Er musste die Zeremonie fortsetzen, bevor sie schreiend aus der Kapelle rannte. Er räusperte sich und zog eine kleine schwarze Schachtel hervor; als er die Schachtel öffnete, weiteten sich ihre Augen, als sie den Ring sah, den er ihr präsentierte. Es war ein goldener Ring mit einem wunderschönen blauen Saphir, der von einem goldenen Stiel gehalten und um den Edelstein gewunden war.
Es war der Ring der königlichen Familie, der von Generation zu Generation weitergegeben wurde. Seine Mutter hatte ihn ihm in ihrem Testament nach ihrem Tod hinterlassen. Er war für seine zukünftige Luna am Tag ihrer Hochzeit bestimmt, und er würde ihren Wunsch ehren.
"Als meine Luna sollst du den Ring der Könige tragen," erklärte er, seine Stimme tief und laut, damit die Kapelle es hören konnte. Sie biss sich nervös auf die Unterlippe, als ihre Augen sich vom Ring lösten und seine trafen. "Akzeptierst du?"
Sie zögerte einen Moment; ihre Augen wanderten durch die Kapelle, bis sie auf ihrem Vater, Alpha Steven, landeten. Ein älterer Wolf, eine vertraute Familienfreundin, Evelyn, hatte Sebastian gesagt, dass er Alpha Stevens Tochter heiraten sollte. Steven war mehr als glücklich, Sebastians Bitte nachzukommen.
Hannah wandte schließlich ihre Augen von Alpha Steven ab und sah wieder zu ihm auf.
Sie nickte einmal und schenkte ihm ein kleines Lächeln.
"Ja," antwortete sie. "Ich akzeptiere."
…
Amys Perspektive
Die Kapelle war still, als sie Hannahs Erscheinung aufnahmen. Die meisten umliegenden Rudel im Königreich waren in der Kapelle versammelt; es mussten Hunderte von Menschen sein, die saßen und die Ereignisse vor ihnen verfolgten. Alle, einschließlich Amy, waren schockiert darüber, wie schön Hannah aussah.
Sie strahlte an der Vorderseite der Kapelle neben dem Alpha-König. Sie trug ein wunderschönes maßgeschneidertes weißes Kleid, das ihr von der königlichen Familie geschenkt worden war. Als es ankam, konnte Amy sich nicht vorstellen, dass Hannah etwas so Elegantes tragen würde. Es war fast lachhaft, daran zu denken. Sie wollte nicht zugeben, dass Hannah in diesem Kleid umwerfend aussah. Es schmiegte sich perfekt an ihre Kurven. Der seidige Stoff weitete sich um ihre schmale Taille und bedeckte ihre Füße, fließend über den Boden wie eine blühende Blume. Ihre Gesichtszüge, die sie selten mit Make-up bedeckte, strahlten im natürlichen Licht der Kapelle. Ihre großen braunen Augen funkelten, obwohl sie offensichtlich Angst vor dem Mann hatten, den sie gleich heiraten würde. Ihr langes, welliges braunes Haar war geglättet und mit einer silbernen Brosche zurückgesteckt, die ebenfalls ein Geschenk der königlichen Familie war.
Amy schauderte bei dem Gedanken an die Geschenke, die am Abend vor der Hochzeit bei ihnen zu Hause ankamen. Einige der Geschenke waren für die Familie bestimmt, und selbst ihr Vater war über die seltenen Schätze, die ihnen geschickt wurden, überrascht. Aber einige der Geschenke waren nur für Hannah bestimmt.
"Du weißt nicht einmal, was das ist," zischte Amy, als sie die Brosche aus Hannahs zartem Griff riss.
Hannah sah schockiert aus, aber sie widersprach nicht und versuchte nicht, die Brosche zurückzubekommen. Amy fand, dass ihre Schwester ein solch elegantes und offensichtlich teures Geschenk nicht verdiente. Besonders, wenn sie nicht einmal wusste, wofür es verwendet wurde.
"Außerdem wirst du es wahrscheinlich verlieren," höhnte Amy. "Es sollte jemandem gehören, der das Geschenk zu schätzen weiß."
Amy begann, die Brosche in ihr eigenes Haar zu stecken, bevor sie ihr mit einer solchen Kraft entrissen wurde, dass sie beinahe rückwärts fiel und sich den Kopf am Boden stieß.
"Das ist nicht für dich," zischte ihr Vater, als er die Brosche zurück zu Hannah warf. "Du hattest deine Chance, den Alpha-König zu heiraten, aber du hast abgelehnt. Du hast diesen einfachen Mann gewählt. Du musst mit deiner Entscheidung leben."
Amy schmollte, sagte aber nichts darauf.
Sie verdrängte schnell diese Erinnerung, als sie in der Kapelle saß. Lange Zeit dachte sie, dass Alpha-König Sebastian nicht zu seiner eigenen Hochzeit erscheinen würde. Sie wollte Hannah ins Gesicht lachen. Der Alpha-König musste erkannt haben, dass Hannah nicht würdig genug war, seine Luna zu sein. Sie war nichts weiter als eine kleingeistige Omega-Wölfin.
Thomas saß neben ihr, aber er schenkte Amy keine Beachtung. Sie knurrte, als sie bemerkte, dass er Hannah anstarrte, mit offenem Mund. Amys Oberlippe kräuselte sich vor Ekel, und ihre Fäuste ballten sich an ihren Seiten.
"Reiß dich zusammen," zischte sie ihm leise zu.
Er blinzelte ein paar Mal, wandte seinen Blick von Hannah ab und drehte sich zu Amy. Seine Wangen röteten sich, als er ertappt wurde.
"Es tut mir leid, Liebes," murmelte er und schenkte ihr ein verlegenes Lächeln. "Ich habe sie noch nie so aussehen sehen..."
Niemand hat das. Niemand bei klarem Verstand hätte je gedacht, dass Hannah, von allen Wölfen, sich so schön herausputzen könnte. Besonders nicht Amy.
"Sie ist jetzt deine Ex, Thomas," schimpfte Amy. "Du solltest nur Augen für mich haben. Das ist es, was du wolltest, erinnerst du dich?"
Thomas nickte einmal und küsste sie auf den Kopf.
"Natürlich, und ich stehe zu meiner Entscheidung," sagte er gegen sie.
Sie fühlte, wie ihre Ängste sich leicht lösten, aber nicht genug, um ihr Glück zu bringen. Sie war schon lange mit Thomas zusammen, obwohl er das letzte Jahr mit ihrer Schwester verlobt war. Aber er hat Hannah nie wirklich geliebt; es war immer Amy, die er wollte.
Amy war die Schöne; sie war stark und furchtlos. Sie war jemand, auf den Alpha Steven stolz war und in dem er das Potenzial sah, die Welt zu verändern. Amy wusste genau, wie wichtig ihr Leben für ihre Familie war, und wie wenig Hannahs Leben zählte. Das Leben ihres jüngeren Bruders, Liam, zählte noch weniger. Er kämpfte im Krankenhaus um sein Leben; es war erbärmlich.
Amy richtete ihre Aufmerksamkeit wieder auf die Vorderseite der Kapelle, wo sie bemerkte, dass Hannah direkt zu ihr hinüberstarrte. Amys Körper spannte sich an, als sie zurückstarrte, ihre Lippen zu einer dünnen Linie gepresst.
Dann sah sie es.
Den Ring der königlichen Familie.