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Kapitel 3

MIA'S PERSPEKTIVE

Nach einer Woche rief mich Nina an und teilte mir die Nachricht von meiner Auswahl mit. Überglücklich packte ich meine Koffer in Erwartung meines Aufenthalts. Als ich mich von meiner tränenreichen Mutter und meinem kleinen Bruder verabschiedete, konnte ich meine Aufregung kaum zügeln.

Am Eingang des Herrenhauses angekommen, ließ mich der Wachmann hinein. Nina führte mich zu einem kleinen Zimmer, das für meinen Aufenthalt vorgesehen war, und stellte mich allen vor. Einige waren freundlich, während andere mir aus unbekannten Gründen misstrauische Blicke zuwarfen.

Lächelnd folgte ich Nina, die mich in eine ruhige Ecke zog, mit einem ernsten Ausdruck im Gesicht. "Mia, ich muss mit dir über etwas Wichtiges sprechen."

Mit weit aufgerissenen Augen und nervösem Verhalten sah ich Nina an und spürte die Schwere der Situation. "Was ist los, Nina? Habe ich etwas falsch gemacht? Ich möchte nicht gleich zu Beginn meiner Arbeit gefeuert werden."

Nina seufzte und legte eine tröstende Hand auf meine Schulter. "Nein, es geht nicht um dich, Liebes. Es geht um den jungen Herrn, Herrn Sinclair. Du musst vorsichtig in seiner Nähe sein. Er ist nicht wie jeder andere Arbeitgeber, den wir hatten."

Verwirrt runzelte ich die Stirn. "Was meinst du? Ist er streng?"

Ninas Augen verdunkelten sich. "Streng ist eine Untertreibung, Mia. Herr Sinclair ist gnadenlos. Er verzeiht nicht einmal die kleinsten Fehler. Wenn du einmal auf seiner schlechten Seite bist, ist es fast unmöglich, wieder in seine Gunst zu kommen."

Angst kroch in meine Augen, als ich flüsterte: "Aber warum? Worauf muss ich achten?"

Nina holte tief Luft. "Er hat seine Gründe, Mia, aber wir stellen keine Fragen. Merke dir nur eines – halte dich so weit wie möglich von ihm fern. Gerate nicht auf seine schlechte Seite, und du wirst sicher sein. Befolge seine Anweisungen ohne zu zögern."

Nervös nickend, wuchs meine Angst. "Ich werde vorsichtig sein, Nina. Ich will keinen Ärger."

"Das ist gut zu hören, Mia," sagte Nina, ihr Ton wurde weicher. "Jetzt habe ich eine besondere Aufgabe für dich heute. Der junge Herr ist im Ausland, also wirst du sein Arbeitszimmer reinigen. Alles muss in perfekter Ordnung sein, wenn er zurückkommt. Mach es sorgfältig, und hoffentlich wird er dich nicht bemerken."

Nervös schluckend antwortete ich, "Sein Arbeitszimmer? Okay, ich werde mein Bestes geben, Nina."

Als ich mit einem Staubtuch in der Hand das prächtige Arbeitszimmer betrat, erfüllte mich Beklommenheit. Der Raum strahlte Autorität aus, mit dunklen Holzmöbeln und Regalen voller einschüchternder Bände. Vorsichtig bewegte ich mich und konzentrierte mich auf jedes Detail, als ob der Raum das Geheimnis von Herrn Sinclairs Rücksichtslosigkeit in sich barg.

Sorgfältig staubte ich das Arbeitszimmer ab, verfolgte die Kanten der antiken Möbel und polierte die Oberflächen. Das rhythmische Wischen des Staubtuchs wurde von einem leisen, fast unwillkürlichen Summen begleitet, das meinen Lippen entwich. Die Melodie, ein bittersüßes Lied aus meiner Kindheit, spendete Trost bei den alltäglichen Aufgaben.

Als ich die hohen Bücherregale erreichte, bestaunte ich die Sammlung von Wälzern. Herr Sinclairs Arbeitszimmer war ein Heiligtum des Wissens, ein Reich der Raffinesse, von dem ich nur geträumt hatte. Mein Herz flatterte mit einem Verlangen, das ich nicht ganz in Worte fassen konnte.

Fasziniert von einem bestimmten Buch, dessen kunstvoller Einband Geschichten von Verzauberung und Geheimnissen versprach, zog mich der Titel "Flüstern der Vergessenen" magisch an. Der Wunsch, in seine Seiten einzutauchen, ergriff mich. Doch ich wusste, dass solche Schätze für mich unerreichbar waren, da mein karges Gehalt nur das Nötigste abdeckte. Seufzend blickte ich sehnsüchtig auf das Buch.

Die Verlockung war zu stark. Mit einem verstohlenen Blick um mich herum nahm ich das Buch aus dem Regal und hielt es wie einen kostbaren Schatz. In einer ruhigen Ecke nahe dem Fenster gönnte ich mir einen gestohlenen Moment der Ruhe.

Ich sah mich im Arbeitszimmer um, um einen bequemen Platz zum Sitzen und Lesen zu finden, da ich fast mit dem Staubwischen und Reinigen fertig war. Dieses Buch zog mich wie ein Mottenlicht an. Ich entschied mich, auf dem weichen Einzelsessel in der Nähe des Fensters Platz zu nehmen und betrachtete das Buch.

Als ich die erste Seite umblätterte, betrat ich eine Welt, in der Sorgen dahinschmolzen. Die Charaktere erwachten zum Leben, und die Geschichte entfaltete sich. Unbemerkt von mir verweilte das vergessene Lied, begleitete mich auf dieser heimlichen Reise.

Verloren in der Verzauberung bemerkte ich kaum die nähernden Schritte. Das Knarren der Tür erregte meine Aufmerksamkeit, und ich blickte auf, um einen gutaussehenden Mann mit markantem Kiefer und scharfen Zügen im Eingang stehen zu sehen, seine Gestalt von einer dunklen Kapuze verhüllt.

Er sah im schummrigen Licht gefährlich gut aus, aber seine Augen ließen mich seine Züge nicht richtig erkennen. Sie waren gefährlich. Ich schaute mich um, als mir auffiel, dass ich das Buch noch nicht ins Regal zurückgestellt hatte. Ich war zu verlegen, um etwas zu tun, während er mich von oben bis unten musterte, was mir Angst machte.

Überrascht stammelte ich und versuchte, das Buch zurückzugeben. "E-Entschuldigung, Herr. Ich wollte nicht... Ich habe nur geputzt, und..."

Der durchdringende Blick des gutaussehenden Mannes hielt mich an Ort und Stelle. "Fahren Sie fort," sagte er mit einer Stimme, die mir einen Schauer über den Rücken jagte.

Verlegenheit überkam mich, als ich das Putzen wieder aufnahm und den Augenkontakt vermied. "I-Ich wollte nicht stören, Herr. Ich war nur...neugierig."

Seine verhüllten Augen ließen mich nicht los, die Spannung war spürbar. "Neugier kann eine gefährliche Eigenschaft sein, Fräulein. Manche Geschichten sollten besser ungelesen bleiben," sagte er kryptisch.

Unbewusst nickend, pochte mein Herz, der gestohlene Moment wurde durch Verletzlichkeit ersetzt.

"Aber Sie brauchen eine Strafe dafür, dass Sie etwas ohne Erlaubnis berührt haben, nicht wahr?" fragte der Mann, der nicht mehr gutaussehend wirkte.

"Hören Sie, Sie... Sie sind niemand, der mich bestrafen kann. Ich weiß, dass der junge Herr nicht hier ist, aber ich habe nur das Buch überprüft," erklärte ich mit vorstehender Lippe und bemerkte, wie sein Blick sich verdunkelte. Im nächsten Moment stand er vor mir.

"Du bist so ein kleines Ding," sagte er mit seiner rauen Stimme nahe meinem Ohr, was mich zittern ließ. "Ich bin nicht klein; ich bin 20 Jahre alt, Herr," sagte ich selbstbewusst, immer noch unfähig, ihm in die Augen zu sehen.

"Dann verdienst du eine Strafe." Damit legte er seine Hand auf mein Gesicht, strich zu meinen Lippen und rieb mit dem Daumen über meine Unterlippe.

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