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02. Gehen Sie zurück in die Vergangenheit?

Es ist eine Ewigkeit her, seit ich mich das letzte Mal im Spiegel betrachtet habe, aber das hier ist unwirklich. Ich sehe mein jüngeres Gesicht, honigfarbene Augen, die funkeln, lange Wimpern, weiche, hydratisierte Lippen – ich bin nicht mehr blass. Keine trockenen Lippen, keine trockene Haut oder Haare; meine langen, braunen Wellen sind glänzend und seidig wie früher, gestylt genau wie an jenem höllischen Tag.

Langsam berühre ich mein Gesicht, spüre die Textur der weichen, jugendlichen Haut unter meinen Fingerspitzen und atme tief ein, senke meinen Blick, um sicherzugehen, dass ich nicht den Verstand verliere... dass ich wirklich die Kleidung meines Körpers richtig gesehen habe. Und ja, ich habe recht... Sowohl mein Haar als auch das weiße Kleid... es ist dasselbe wie an meinem Hochzeitstag vor zehn Jahren.

Ich bin so verwirrt. Das Letzte, woran ich mich erinnere, ist, wie ich meinen Körper zum Balkon schleppte und mich hinunterstürzte. Leide ich wirklich unter einer göttlichen Strafe, weil ich mein Leben beendet habe? Werde ich gezwungen sein, diesen verfluchten Tag für die Ewigkeit zu wiederholen? Oder ist das eine neue Chance...?

Plötzlich unterbricht die sich öffnende Tür meine Gedanken. Das vertraute Gesicht, das vor Sorge verzerrt ist, habe ich lange nicht gesehen – jemand, den ich aus meinem Leben gedrängt habe, weil sie nur das Beste für mich wollte. Und jetzt sehe ich das.

Als sie auf mich zurennt, beginnen wieder Tränen über mein Gesicht zu fließen.

„Lotte!“ Sie kniet sich hin und berührt meine Schultern. „Was ist passiert? Geht es dir gut?“

„Elodie…?“ Der Name, der seit vielen Jahren nicht mehr über meine Lippen gekommen ist, entweicht mir zitternd, und trotz der Verwirrung in ihrem Gesicht umarme ich sie fest. „Du…“ Ein ersticktes Schluchzen entweicht mir… „Es tut mir leid... Es tut mir so leid!“

Meine Cousine, meine wahre Freundin... diejenige, die ich weggestoßen habe, weil meine Besessenheit von Christopher mich blind gemacht hat. Sie stand mir bei, selbst nachdem ich all ihre Ratschläge ignoriert hatte. Trotz meiner Sturheit bot sie mir immer ihre Schulter zum Ausweinen, wenn etwas schiefging. Aber die Wahrheit ist, ich wollte die bittere und ungenießbare Realität, die sie mir gab, nicht. Ich wollte nicht sehen, wollte nicht akzeptieren, also stieß ich alle weg, die versuchten, mir die Augen zu öffnen.

„Lotte...“ Elodie umarmt mich zurück, zögernd und verwirrt, streichelt meinen Rücken. „Was ist passiert? Bist du gefallen? Bist du verletzt?“

„Es tut mir leid...“ wiederhole ich immer wieder, während Schluchzen zwischen meinen aufrichtigen Entschuldigungen entweichen.

Ich weiß nicht, ob das mein Fegefeuer ist oder nicht, aber wenn ich die Chance habe, mich bei der Person zu entschuldigen, die mein Wohl am meisten wollte, dann werde ich sie nutzen.

„Es tut mir leid, dass ich nicht auf dich gehört habe...“ sage ich zwischen Schluchzern und drücke ihren zierlichen Körper noch fester. „Ich hätte auf dich hören sollen...“

„Warum sagst du das jetzt?“ Elodie gibt mir einen letzten Streichel, bevor sie sich ein wenig zurückzieht, um mir direkt in die Augen zu sehen. Sie berührt mein Gesicht mit beiden Händen und trocknet sanft meine nassen Wangen. „Du hast doch endlich bekommen, was du wolltest, warum weinst du?“

„Weil sich das wie ein Albtraum anfühlt. Es ist das Ende meines Lebens, und ich habe es mir selbst aufgebaut.“ Meine zitternden Worte ergeben für sie keinen Sinn.

„Wovon redest du? Das ist der Anfang deines Lebens, Lotte... du heiratest den Mann, den du liebst...“

„Den Mann, den ich liebe?“ Mein Mund wird trocken, und erneut fühle ich meine Brust leer. Es gibt kein Zeichen dieser verfluchten Schmetterlinge. Mein Aussehen mag das der unschuldigen Charlotte sein, aber es ist nur das – nur an der Oberfläche. „Den gleichen Mann, der der Grund für mein Elend ist.“

„Ich verstehe nicht...“ Elodie schüttelt den Kopf und runzelt die Stirn. „Ist das wegen Christophers Freundin, Evelyn?“

Evelyn. Dieser Name lässt mich fast erbrechen.

Ist das wirklich mein Fegefeuer?

„Hat sein Großvater nicht gesagt, dass alles in Ordnung ist, dass sie sich trennen werden? Was hat sich geändert?“ Elodies Stimme wird leiser, und sie schaut weg, schluckt schwer. „Du hast dir vorher keine Sorgen darüber gemacht…“

Ich weiß, dass sie ihre Worte überdenkt. Jetzt, wo ich darüber nachdenke, muss sie diese Beziehung von Anfang an missbilligt haben, aber sie wusste, dass ich nicht zuhören würde. Das habe ich nie getan.

„Bin ich wirklich dazu verdammt, dieses elende Leben immer wieder zu erleben?“ sage ich zu mir selbst, mit wahrer, greifbarer Verzweiflung, und schaue in den Spiegel auf mein genaues Aussehen von vor zweiundzwanzig Jahren. „Ich habe mein Leben beendet, und doch konnte ich nicht entkommen...“

Elodie schlägt mir mit beiden Händen gleichzeitig ins Gesicht, was meine Augen vor Schmerz leicht aufreißen lässt.

„Dein Leben beenden, bist du verrückt geworden?“ sagt sie scharf, ihre Stimme zittert. „Warum solltest du dein kostbares Leben beenden?“

Kostbar?

„Lotte, wenn du dieses Leben nicht willst... dann erschaffe das Leben, das du dir wünschst!“ Elodies Worte erinnern mich an all die Träume, die ich hatte, bevor ich diesen Raum verließ und zum Altar ging. Die strahlende Zukunft, die ich dachte, die auf mich wartete. Aber am Ende fand ich nur den Tod.

„Willst du weglaufen?“ fragt sie fest und sieht mir in die Augen. „Du kannst entkommen, Lotte... Du musst nicht so leben, wie andere es wollen.“

Elodie... dein Rat ist immer treffend, nicht wahr? Ich habe dich wirklich vermisst...

„Ich werde dir helfen,“ sagt sie entschlossen und steht dann auf, bietet mir ihre Hand an. „Wir schaffen das.“

Ich nehme die Hand meiner Cousine und zwinge meine Beine, die das Gewicht meines Körpers leicht tragen. Aber das unerträgliche Gefühl, nicht alleine gehen zu können... dass mein Körper von Krankheit gestohlen und meine Freiheit von meiner eigenen Besessenheit genommen wurde, ist immer noch da, wie ein lauernder Schatten.

Doch dieses Mal kann ich wieder aufstehen.

„Draußen warten Leute auf dich. Sie werden bald nach dir suchen. Wenn du entkommen willst, ist jetzt die Zeit.“ Elodie sieht mir in die Augen und drückt meine Hand beruhigend.

Kann ich wirklich entkommen? Kann ich wirklich etwas ändern?

Ich sehne mich nach Freiheit.

Im Tod suchte ich Befreiung, und jetzt finde ich mich an dem Moment zurück, als ich sie verlor.

Einmal sagte ich, dass ich, wenn ich eine neue Chance bekäme, Christopher loslassen würde. Ich würde nur meinem Glück nachjagen und meinem Herzenswunsch folgen, weil ich wirklich glücklich sein möchte.

Ehrlich gesagt, ich weiß nicht, was das hier ist – ob es das Leben nach dem Tod ist, eine Zeitreise, eine göttliche Strafe oder ein Geschenk, das eine so elende Existenz wie meine belohnt – aber ich bin es leid, im Dunkeln zu tappen. Ich bin es leid, zu leiden, Schmerzen zu fühlen, mich in luxuriösen Mauern einzusperren.

Ich öffne meine Lippen, um zu antworten, bereit, sie anzuflehen, mich wegzubringen... mich in ein Auto zu setzen und weit, weit weg von diesem Altar zu fahren, an dem ich einst Ja sagte.

Bitte, bring mich weg von den Kirchenglocken.

Bring mich weit weg von Christopher.

„Elodie, bitte, bring mich hier raus...“ Ich mache einen Schritt auf sie zu, aber plötzlich wird mir schwindelig. Mein Herz schlägt härter, pocht heftig in meiner Brust...

Und genau in diesem Moment erinnere ich mich.

Ich betete zu Gott um eine Chance, mein ungeborenes Kind zu treffen, und ich bin zurück an dem Moment, als ich mein Schicksal mit seinem Vater besiegelte.

Meine Augen brennen, als ich langsam, subtil meine Hand senke, meine Finger über die zarte Spitze des Korsetts streichen lasse, bis schließlich meine Handfläche meinen Bauch berührt. Und ich bin atemlos.

Henry, mein Sohn...

Mein Baby...

Kann ich ihn jetzt in diese Welt bringen?

Kann ich ihn halten, sein kleines Gesicht sehen, ihn riechen, seine Wärme spüren?

Werde ich in der Lage sein, mein Kind dieses Mal zu beschützen?

Langsam lasse ich Elodies Hand los, sehe ihren verwirrten Ausdruck und schenke ihr ein trauriges Lächeln.

„Es tut mir leid, aber ich muss deinen Rat ein letztes Mal ignorieren... Ich kann nicht weglaufen.“ Ich senke meinen Blick und sehe auf meinen Bauch. „Ich kann jetzt nicht weglaufen.“

Elodies Ausdruck wird weich vor Verständnis, und sie drückt sanft meine Hand. Ohne ein weiteres Wort verlässt sie den Raum.

Ich atme tief durch, sammle den Mut, den ich brauche. Nach einem Moment der Stille entscheide ich, dass es Zeit ist, und schließlich verlasse ich den Raum mit dem Gewicht meiner Entscheidung auf meinen Schultern.

Als ich den langen Steinkorridor zur Kirche hinuntergehe, blicke ich zu den hohen Türmen auf, die den blauen Himmel durchbohren. Die Sonne geht unter, malt den Himmel orange und lila, und ihre goldenen Strahlen filtern durch die Buntglasfenster.

Ich berühre meinen Bauch, streichle ihn, überwältigt von Emotionen. Jeder Schritt zu den Holztoren festigt die Realität des Moments, lässt mich sicher sein, dass dies kein Traum ist.

Ich bin wirklich in der Zeit zurückgereist.

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