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X. Verworrene Herzen

Elva war schon immer ein leichter Schläfer gewesen, aber ihre Sinne schienen jetzt noch geschärfter zu sein als zuvor.

Dass sie weit weg von zu Hause war und ihr Leben bedroht wurde, hatte sicherlich damit zu tun.

Ihre Augen flatterten auf bei dem Geräusch von Rascheln und, unverkennbar, Eksels Stöhnen.

Natürlich dachte sie immer noch, er sei Agnar, denn niemand hatte ihr etwas anderes gesagt.

Sie erkannte sofort, dass er es war, denn das Geräusch seines Unbehagens, seines Schmerzes, war ihr vom Vortag noch frisch im Gedächtnis.

Als sie ihre Augen öffnete und ihr Blick sich klärte, stellte sie fest, dass sie direkt auf Eksels nackten Rücken starrte. Er war vornübergebeugt und richtete sich langsam auf, während er leise stöhnte. Er streckte seinen Rücken, und es tat ihm weh. Elva starrte, bis die Details sichtbar wurden.

Sie sah die wütend rote Wunde vom Pfeil, obwohl sie größtenteils verbunden war. Was sie anspannte, waren die Narben, die sie zuvor gesehen hatte.

Es gab ein Kreuz und Quer von ihnen. Lange, tiefe und zerklüftete Narben. Sie stützte sich auf ihren Ellbogen, während ihre Augen sich mit Trauer füllten. Für einen Moment ließ sie sich vorstellen, welchen Schmerz er durchgemacht haben musste.

Vielleicht war das der Grund, warum sie ihn grimmig und vor sich hin brummend vorfand.

Sie fragte sich, ob der Hass in seinen Augen und die Wut, die durch ihn zu vibrieren schien, wegen seiner Vergangenheit und nicht gegen sie gerichtet war. Aber sie unterdrückte diesen Gedanken schnell und sagte sich, dass sie ihre Gedanken nicht wild werden lassen sollte.

Ihre Brust wurde von einer weiteren Welle der Trauer durchflutet, aber sie war mit Wut durchzogen. Wer konnte ihm das angetan haben? Und warum? Sicherlich hatte niemand eine solche Entstellung verdient.

Sie setzte sich weiter auf und Eksel erstarrte.

Er seufzte und drehte sich langsam zu ihr um.

Elva richtete ihren Blick schnell von seiner Brust zu seinen Augen, und er wusste, dass sie wieder einmal das schreckliche Durcheinander gesehen hatte, das sein Rücken war.

Das schien ihn nur noch mehr zu ärgern. Wie sehr wünschte er sich, dass sie diesen Teil von ihm nie gesehen hätte. Sicherlich musste sie angewidert sein.

Er sah in ihre Augen und erkannte das zarte Mitgefühl darin. Sein Herz hämmerte in seiner Brust und sein Stirnrunzeln milderte sich für einen Moment. Wenn sie ihn so ansah, fragte er sich, welche anderen Gefühle sie für ihn in ihrem Herzen hegte. Es war eine Erleichterung zu sehen, dass sie etwas anderes als Angst, etwas anderes als Ekel empfand.

„Ich brauche dein Mitleid nicht, Elva.“ knurrte er und verhärtete sich wieder.

Elva war von seinem Kommentar überrascht und wusste nicht, wie sie antworten sollte. Sie rutschte unbehaglich hin und her und sah sich im Zelt um. Er sah sie immer noch mit einem finsteren Blick an, und sie wollte seinen Blick so lange wie möglich vermeiden.

„Ich bemitleide dich nicht... Ich bin nur... Es tut mir leid...“ Ihre Stimme war weich, kaum hörbar.

Er atmete scharf ein und wandte sein Gesicht von ihr ab. Erst dann sammelte sie genug Mut, um ihn anzusehen. Seine Hände waren zu Fäusten geballt neben seinen Oberschenkeln, und seine Schultern hoben und senkten sich mit jedem scharfen Atemzug, den er nahm.

Sie schauderte, als sie noch mehr schmerzhaft aussehende Narben bemerkte, die sich über seine Brust und seinen Bauch zogen. Er war mit alten Schnittwunden übersät. Elva griff nach den Fellen unter sich, um sich zu erden, damit ihre Emotionen sie nicht überwältigten.

Sein Kiefer war angespannt, und wie sehr wünschte sie sich, dass er sie ansah.

Es vergingen Momente, bevor er es tat, aber er runzelte die Stirn, sehr zu Elvas Missfallen.

„Ich kann mich nicht erinnern, wann ich das letzte Mal keine Schmerzen hatte. Entschuldigung wird nichts ändern,“ knurrte er.

Seine Augen wanderten zwischen ihren hin und her, sein Stirnrunzeln vertiefte sich nur noch mehr. Die Erinnerungen schienen wieder aufzutauchen, da er abwesend wirkte. Seine Augen blickten in ihre Richtung, aber er sah sie nicht wirklich.

Elva hörte die Wut in seiner Stimme und verstand, dass sie aus Schmerz kam. Sie wusste, wie sich Schmerz anfühlte, und sie wollte, dass er aufhörte.

Langsam schob sie sich auf ihre Knie und klopfte auf den Platz vor sich auf dem Boden. Und wieder murmelte sie das eine einfache, leise Wort.

„Bitte.“

Eksel war schwach. Er konnte ihrem Drängen nicht einmal eine Nacht lang widerstehen. Er sehnte sich nicht nur danach, in ihrer Nähe zu sein und ihre Berührung zu spüren, sondern sein Körper flehte darum, von den Schmerzen befreit zu werden.

Seine Schultern sanken, als er sich entschied, ihrem Wunsch nachzukommen. Er machte ein paar Schritte nach vorne, bevor er sich vor ihr hinkniete. Elva schenkte ihm ein kleines Lächeln, als sie ihre Hände auf seine Schultern legte und sanft drückte und zog, um ihn dazu zu bringen, sich umzudrehen.

Er rutschte in der Stille, setzte sich vor sie, sein Gesäß flach auf dem Boden, damit er sich weiter senken konnte. Er zog seine Knie vor sich, die Fußsohlen flach auf dem Boden. Er legte seine Unterarme auf seine Knie und spannte sich an, während er auf ihre Berührung wartete.

Elva nahm sich einen Moment Zeit, um seinen Rücken erneut zu betrachten, und Tränen drohten aus ihren Augen zu entweichen, als sie den Anblick der schrecklichen Narben aufnahm. Sie nahm ihre Finger und fuhr einige der Linien nach, was ihn anspannen ließ, ein Stöhnen vibrierte durch seine Kehle.

Ihre Berührung war wie eine Droge für ihn und ließ seinen Körper reagieren. Sie begann langsam, die Narben zu kneten und dort Druck auszuüben, wo sie dachte, dass es ihm am meisten helfen würde.

Eksel spürte ein Kribbeln in seinem Kopf und eine Welle der Zufriedenheit durchströmte seinen Körper. Er hatte vergessen, was es bedeutete, was es sich anfühlte, nicht von Schmerzen überwältigt zu sein.

Selbst in diesem gebrechlichen Zustand war er ein furchterregender Krieger, gefürchtet von jedem, der seinen Namen hörte. Die Wahrheit ist, er musste ein furchterregender Krieger werden, er musste lernen zu töten. Es war der einzige Weg, dem Missbrauch zu entkommen. Er musste derjenige sein, der es beendete.

Und das tat er.

„Sie stammen von meinem Vater,“ sagte er, bevor er sich stoppen konnte.

Elva wusste nicht, wie sie reagieren sollte. Ihre Lippen öffneten sich und ihre Augenbrauen zogen sich zusammen, während ihre Hände stillhielten. Sie spannte sich für einen Moment an, nicht verstehend, wie ein Vater seinem eigenen Sohn so etwas antun konnte.

Sie entschied, dass es keine Worte gab, die ihr Mitgefühl ausdrücken konnten. Stattdessen setzte sie die Bewegung ihrer Finger fort.

„Er schlug und peitschte mich, wann immer ich etwas tat, das ihm nicht gefiel, und auch, wenn mein Bruder Mist baute,“ er ließ ein Lachen voller Verbitterung hören.

„E-er schlug dich für die Fehler deines Bruders?“

Eksel atmete ein und nickte, „In den Augen meines Vaters waren es nicht die Fehler meines Bruders. Ich war der schlechte Einfluss.“

Er verschränkte seine Finger und biss sich auf die Lippe. Er hatte noch nie jemandem von den Qualen erzählt, die er durch die Hände seines Vaters erlitten hatte. Agnar war der Einzige, der von dem Schrecken wusste, dem er jede Nacht ausgesetzt war.

Etwas an Elva ließ ihn all seine Geheimnisse, all seine Vergangenheit, all seinen Schmerz preisgeben wollen.

„Warum?“ Ihre Stimme war atemlos, der Klang wie Nektar in Eksels Ohren.

Eksel schüttelte den Kopf, „Er war-ist das goldene Kind. Er sieht mehr aus wie unsere Mutter, und er war immer Vaters Liebling. Er durfte nicht entstellt werden. Nicht wie ich. Ich war entbehrlich.“

Seine Stimme war schwer, voller Wut, die Elva nicht einmal ansatzweise messen konnte. Sie war verwirrt von seinen Worten. Sie dachte immer noch, er sei Agnar, der Erbe der Ländereien. Wie konnte er entbehrlich sein? Sie beschloss, die Frage für ein anderes Mal aufzusparen. Sie genoss die Intimität, die sie teilten.

Er seufzte, als er seinen Kopf zurückrollte und die Augen schloss. Er atmete tief ein, „Deine Berührung. Nichts anderes nimmt den Schmerz weg.“

Elva lächelte bei dem kleinen Kompliment, „Ich würde das jede Nacht für dich tun.“

Ihre Stimme war süß, fürsorglich und, wieder einmal, hoffnungsvoll. Jetzt war Eksel verwirrt. Sicherlich wusste sie, dass sie sich nicht jede Nacht sehen könnten, sobald sie nach Hause zurückkehrten? Er zuckte jedoch mit den Schultern, wollte nicht stören, was gerade geschah.

Sie erreichte eine besonders schlimme Narbe und ein Knoten bildete sich in ihrer Kehle. Die Wunde musste tief gewesen sein und die Genesung musste Monate gedauert haben.

Ein Schluchzen durchfuhr sie und Eksel drehte sich um, perplex von dem Geräusch, das aus ihren Lippen kam. Seine Augen folgten den Tränen, die ihre Augen füllten und ihre Wangen hinunterrollten.

„Weine nicht um mich, ich bin es nicht wert,“ murmelte er, mochte das Unbehagen nicht, das sich in seiner Brust festsetzte.

Er verursachte ihr Schmerz, brachte sie zum Weinen. Sein Herz pochte lauter in seiner Brust, als er ihre Gestalt betrachtete. Sie war atemberaubend, süß und fürsorglich. Alles, was er nicht war. Er streckte die Hand aus und wischte die Träne mit dem Daumen weg.

Elva schauderte bei seiner Berührung, sah ihm in die Augen und fragte sich, wie er denken konnte, dass er es nicht wert war. Seine Berührung war so sanft mit ihr, seine Augen so dunkel und voller Fürsorge.

„Ich bin niemand,“ flüsterte er.

Elva rückte näher zu ihm, nah genug, um die Wärme seines Körpers zu spüren, „Du bist jemand für mich.“

Eksel schien aus dem Moment zu erwachen. Er lehnte sich zurück und stand auf, grunzte dabei. Er atmete langsam durch die Nase ein und schaffte es, sein Hemd wieder anzuziehen.

Elva sah mit großen Augen zu, ihr Herz sank in ihren Magen. Hatte sie etwas falsch gemacht?

„Wo-wo gehst du hin?“

Er sah auf sie herab, „Ich werde draußen schlafen, es hilft mir, besser Wache zu halten. Du hast das Zelt für dich allein.“

Er verließ das Zelt, bevor sie etwas sagen konnte, und sie legte sich wieder auf die Felle, versuchte, sich mit dieser Nacht der Intimität, die sie geteilt hatten, abzufinden.

Er war so süß und sanft zu ihr gewesen in den Momenten zwischen Schmerz und Wut. Sie konnte ihm das nicht vorwerfen, nicht nachdem sie all das Leid gesehen hatte, das er durchgemacht hatte. Es war offensichtlich, dass er in gewissem Maße für sie sorgte, und der Gedanke ließ ihren Magen lebendig werden.

Vielleicht könnte sie diesen Mann lieben.

Sein Gesicht füllte ihre Gedanken und ihre Wangen röteten sich, als sie sich daran erinnerte, wie er ihre Lippen zuvor betrachtet hatte. Sie fragte sich, wann er sie endlich küssen würde, und beschloss, dass sie ihn nicht aufhalten würde, wann immer es geschah.

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