




Kapitel 6 Die unbekannte Wahrheit
Der Minutenzeiger der Uhr schien sich an jenem Tag zurückzudrehen.
Zu spät kommende Schüler mussten zur Strafe im Flur stehen.
Ich stand dort mit ernstem Gesicht, beschämt, während die Stimme des Lehrers aus dem Klassenzimmer dröhnte. Aber Daniel war das egal. Er neigte den Kopf und sagte: "Seit wann bist du so verkrampft? Kannst du mir nicht so eine Kleinigkeit verzeihen?"
Seine lässige Haltung machte mich nur noch wütender.
Ich trat ihm auf die Zehen, und er verzog vor Schmerz das Gesicht. Ich grinste, war aber noch nicht bereit, ihm zu verzeihen.
Die Demütigung nagte weiter an mir.
Als die Glocke läutete, gingen Daniel und ich zusammen ins Klassenzimmer.
Einige neugierige Mitschüler fingen an zu sticheln: "Wow, ihr zwei seid immer zusammen, sogar wenn ihr bestraft werdet! Was habt ihr letzte Nacht gemacht? Habt ihr im selben Bett geschlafen und verschlafen?" Das Mädchen, das die Sticheleien anführte, hatte einen spöttischen Ton, und alle warfen uns seltsame Blicke zu. Daniels Gesicht wurde ernst.
Ich erinnerte mich an Daniels Worte: "Oder hast du es genossen, dass wir zusammen bestraft wurden?"
Ich dachte, 'Gut, Daniel, pass auf, wie ich es leugne!'
Ich knallte mein Buch auf den Tisch, und der Raum wurde still. Meine Mitschüler starrten mich schockiert an. Normalerweise blieb ich ruhig und ließ sie mich ärgern, aber nicht heute. Ich ging nach vorne und starrte das tratschende Mädchen an, bis sie wegsah.
"Hört zu, alle zusammen. Daniel und ich sind nur Nachbarn. Wir gehen zusammen zur Schule, weil wir in der Nähe wohnen. Entschuldigung für das Missverständnis, aber wir sind keine Liebenden. Hört auf, Gerüchte zu verbreiten oder Witze über uns zu machen! Sonst lasse ich das nicht durchgehen." Meine Worte waren klar und bestimmt.
Alle waren verblüfft, sogar Daniel. Seine Freunde seufzten: "Daniel, dein Kumpel hat dich gerade im Stich gelassen!"
Daniel tat so, als wäre es ihm egal, und murmelte: "Langweilig."
Er ging hinaus und ließ alle Blicke auf mir ruhen.
Ich weiß nicht, was mir den Mut gab, so zu sprechen. Mit Lillians Unterstützung ging ich zurück zu meinem Platz und fühlte mich den ganzen Morgen benommen.
Am Nachmittag, während des Sportunterrichts, brannte die Sonne auf das Feld.
Ich ruhte mich im Klassenzimmer mit einigen Mädchen aus, als Lillian hereinstürmte, panisch. "Jane, Daniel kämpft auf dem Feld, und es gibt Blut!"
"Was?" Trotz meiner Worte verrieten mich meine Taten. Ich ließ alles fallen und rannte zum Feld, verstauchte mir sogar den Knöchel in meiner Eile.
Unter der sengenden Sonne sah ich eine Menschenmenge um den Basketballplatz. Humpelnd drängte ich mich durch, leise murmelnd, 'Daniel!'
Ich gab zu, ich war schwach. Wie konnte ich achtzehn Jahre Gefühle so leicht loslassen?
Ich habe mich immer um Daniel gekümmert.
"Platz da!"
Die Menge teilte sich bei meinem Ruf, und ich sah Daniel in der Mitte, wie er sich mit einem anderen Typen anlegte. Blut strömte von einer Kopfwunde bis zu seinem Kinn und tropfte auf den heißen Gummiboden.
Daniel beschützte Zoe, die verängstigt aussah. Aber ich sah einen Hauch von List in ihren Augen. Vielleicht war sie nicht so unschuldig, wie sie schien. Nur ein Verdacht, allerdings.
Aus ihrem Gespräch erfuhr ich, dass der andere Typ Zoes Ex, Victor Craig, war. Er schien verwirrt. Was als friedliches Trennungsgespräch gedacht war, hatte sich in einen Kampf mit Daniel verwandelt.
Victor schrie Daniel an: "Das ist zwischen ihr und mir! Halt dich da raus!"
Daniel schoss zurück: "Trennungen passieren, aber du hast sie verleumdet. Du bist derjenige, der betrogen hat."
Ich spürte ein Missverständnis. Ich sah sogar Zoes schnelles Lächeln, bevor sie einen mitleiderregenden Blick aufsetzte und sich an Daniel klammerte.
Victor sagte: "Sie hat zuerst betrogen und die Geschichte verdreht, diese lügende Schlampe."
Daniel antwortete: "Schieb nicht die Schuld ab!"
Victor beharrte: "Ich tue es nicht!"
Daniel warf einen Blick zurück auf Zoe.
Ihre Tränen waren die perfekte Antwort.
Daniel und Victor fingen wieder an zu kämpfen, und ich versuchte, sie auseinanderzuziehen, humpelnd.
Aber wie konnte ich zwei große Jungs trennen, die kämpften?
Am Ende geriet ich in das Gerangel, fiel zu Boden, und mein verstauchter Knöchel schwoll an. Die Wahrheit über Zoes und Victors Trennung blieb ein Rätsel. Die meisten Zuschauer glaubten, dass Zoe das unschuldige Opfer war. Sie brauchten jemanden, den sie bemitleiden konnten, um sich edel zu fühlen.
Am Ende kamen Daniel und Zoe schnell zusammen.
"Jane!"
Lillians Ruf riss mich aus meinen Erinnerungen. Sie wedelte mit der Hand vor meinem Gesicht, bis ich mich konzentrierte. "Du träumst immer, wenn es um Daniel geht! Du musst dir das abgewöhnen!"
Ich blieb still.
"Du hast nicht mal den Rest des Klatsches über Zoe gehört!" rief Lillian, als sie mein Schweigen sah.
Sie war immer so feurig, also musste ich sie besänftigen: "Los, erzähl. Ich höre zu."
Als sie meinen flehenden Blick sah, fing sie endlich an: "Eigentlich war diejenige, die wirklich betrogen hat, Zoe!"
Natürlich! Meine schlimmste Befürchtung hatte sich bewahrheitet.