Kapitel 3: Liquid Courage
Stacey sitzt mit einem breiten Lächeln am Tisch, umgeben von Schnapsgläsern. „Melissa, komm her und lass die Sau raus, wir haben was zu feiern.“ Sie deutet auf die Gläser und sagt: „Ein Shot für jedes Jahr, das du über Büchern und Arbeiten geschuftet hast.“
„Du weißt schon, dass ich eher der Drei-Bier-Typ bin, oder?“, Melissa wirft Stacey einen finsteren Blick zu, „und Schnaps ist eine ganz andere Hausnummer.“
„Ach, komm schon, Melissa, sei nicht so ein Tugendbold“, sagt Kristy, etwas zu laut. „Du hast uns versprochen, dass du dich ein bisschen locker machst, sobald du deine Doktorarbeit fertig hast.“
„Ja, ich weiß“, erwiderte Melissa, „aber ich muss sie noch verteidigen und hoffe, die Stelle als Juniorprofessorin am Institut für Renaissanceliteratur zu bekommen. Dann habe ich alles, was ich immer wollte.“
„Was ist mit dem heißen Jeremy?“, fragt Kristy. „Ich weiß nämlich, dass du ihn willst. Aber ich weiß auch, dass du nichts unternehmen wirst, also muss ich ihn dir wohl abnehmen.“
„Heißer Jeremy? Welcher heiße Jeremy?“, fragt Stacey und hüpft beinahe auf ihrem Stuhl.
„Ach, nur so ein Prachtkerl an der Bar, der mich mit seinen Augen ausgezogen hat“, antwortet Kristy mit ihrem typischen männerfressenden Grinsen.
Na ja, wenn sie es so in Erinnerung behalten will, denkt Melissa bei sich. Kristy war eine gute Freundin, aber ehrlich gesagt hatte Melissa es satt, sich wie der Prügelknabe für Kristys Witze zu fühlen. Melissa wusste, dass sie nicht so erfahren war wie Kristy und vielleicht auch nicht so erfahren wie Stacey. Stacey sprach nicht so offen über ihr Sexleben wie Kristy. Melissa hatte es satt, wie eine alte Jungfer behandelt zu werden. Ja, sie war ein kleiner Bücherwurm mit einer etwas ungesunden Vorliebe für alles, was mit Shakespeare zu tun hatte, aber sie wusste, wie man sich entspannt und Spaß hat. Sie wusste, dass sie niemals mit Kristy um die Aufmerksamkeit eines Mannes konkurrieren konnte, aber Jeremy schien doch an ihr interessiert gewesen zu sein, oder? Als 28-Jährige sollte sie das Leben genießen, Risiken eingehen, sich mit Fremden einlassen. Nein, das war einfach nicht sie, sie war eine langweilige graue Maus, so einfach war das. Als die Realität ihres Lebens langsam zu ihr durchsickerte, griff sie nach ihrem ersten Shot und kippte ihn hinunter.
Drei Shots später schließt Melissa die Augen und lässt sich auf der Tanzfläche vom Beat der Musik treiben. Sie spürt, wie eine Hitze sie von hinten umfängt. Starke Hände umfassen ihre Taille und sie wird an eine harte Wand aus Muskeln gezogen. Stacey, mit der sie gerade getanzt hat, sieht für einen Moment erschrocken aus, ihre Augen weiten sich. Kristy schreit ihr etwas ins Ohr und ein Lächeln breitet sich auf ihren beiden Gesichtern aus. Sie drehen sich um und tanzen von Melissa weg, die kurzzeitig verwirrt ist, bis die Hände auf ihrer Taille sie leicht drücken und das Hier und Jetzt den Alkoholdunst in ihrem Gehirn durchdringt. Langsam wird sie umgedreht und fest an eine breite Brust gedrückt.„Ich hoffe, du hast nichts dagegen, dass ich mich einmische“, sagt Jeremy, während seine Lippen ihr Ohr streifen. „Ich konnte mir die Chance nicht entgehen lassen, mit der schönsten Frau im Raum zu tanzen.“
Melissa stößt bei diesem typischen Spruch ein undamenhaftes Schnauben aus. „Ich wette, das sagst du zu allen Mädchen“, erwidert sie.
Jeremy gibt irgendeine Antwort, aber alles, was sie verstehen kann, ist so etwas wie mit nach Hause kommen. Schockiert von ihrer betrunkenen Reaktion auf ihn, bittet sie ihn nicht, sich zu wiederholen. Nach mehreren weiteren Tänzen spürt Melissa die Wirkung des Alkohols und Jeremys auf Körper und Geist nun deutlich. Schwindelig und heiß lehnt sie sich noch mehr an den Schmelzofen, der Jeremy ist.
„Wie wär’s, wenn wir von hier verschwinden?“, fragt Jeremy und blickt ihr dabei eindringlich in die Augen. Melissa weiß, was er wirklich fragt, und obwohl sie in der Vergangenheit feste Freunde hatte, war sie seit über zwei Jahren nicht einmal mehr auf einem Date. Einen One-Night-Stand hatte sie schon gar nicht. Andererseits war sie auch noch nie so betrunken gewesen. Was soll’s, es war nur eine Nacht. Sie würde ihn nie wiedersehen, und wenigstens hätte sie ihren Katzen eines Tages etwas Aufregendes zu erzählen! Da sie sich nicht zutraute zu sprechen, nimmt sie einfach Jeremys Hand, winkt ihren Freunden zum Abschied und führt ihn zur Tür.
Einen kurzen Spaziergang später, bei dem Jeremy den Weg weist, kommen sie zu einem hohen Wohnhaus. Wow, denkt Melissa, eines Tages werde ich auch in so einem Gebäude wohnen können. Jeremy schweigt, als er sie zum Aufzug führt. Drinnen wird Melissa unruhig und bekommt zweite Gedanken. Was mache ich hier nur, ich kenne diesen Kerl nicht einmal. Gerade als ihr dieser Gedanke durch den Kopf geht, drückt Jeremy sie gegen die gläserne Rückwand. Er blickt auf ihre Lippen hinab, sieht ihr in die Augen und hebt eine Augenbraue. Seine Bitte um Erlaubnis macht ihn nur noch unwiderstehlicher. Melissa verdrängt ihre Ängste, stellt sich auf die Zehenspitzen und presst ihre Lippen auf seine.
Als ein Blitz durch Melissas Körper zuckt, keucht sie vor Schock auf. Jeremy verliert keine Zeit und stößt mit seiner Zunge in ihren Mund. Mein Gott, was für eine Zunge. Melissa stöhnt und drückt sich fester an seinen harten Körper, während er ihren Mund plündert. So fühlt es sich also an, einen echten Mann zu küssen, denkt sie bei sich, die anderen waren eben nur das: Jungs. Plötzlich zieht sich Jeremy schwer atmend zurück, ein überraschter Ausdruck auf seiner Stirn. Beide drehen sich um, als sie bemerken, dass sich die Türen geöffnet haben und sie auf Jeremys Etage sind. Er nimmt ihre Hand und führt sie den Flur entlang. Nachdem er mit seinen Schlüsseln gekämpft hat, schließt er endlich die Tür auf und führt sie hinein.
